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Offen für alle – aber nicht für jeden

Ein Meer, mitten in Berlin? Glaubt man Mareike Witt vom Verein „100 Prozent Tempelhofer Feld“, dann fühlen sich viele Besucher beim Betreten der gleichnamigen Grünfläche in eben jene Illusion versetzt. Die Weite, der Wind, der freie Blick – all das erinnert viele Nutzer des Feldes an einen Besuch an der Küste, im Herzen Berlins.

„Das Bild wird häufig verwendet“, sagt Witt, die sich seit vielen Jahren für das Feld engagiert und 2014 gemeinsam mit vielen Mitstreitern den erfolgreichen Volksentscheid vorbereitet hatte. An diesem Dienstag vor genau fünf Jahren trat das Gesetz in Kraft, das die leere Weite sichert.

Eine Weite, deren Dimensionen allerdings mehr und mehr Menschen nachdenklich stimmen angesichts der Härte, mit der sonst überall in Berlin um jede Freifläche gekämpft wird. Gut möglich, dass ein Volksentscheid angesichts des dramatisch verschärften Wohnungsmangels heute ganz anders ausginge.

Witt ist allerdings zufrieden mit den Entwicklungen auf der mehr als drei Quadratkilometer großen Grünfläche: „Das Tempelhofer Feld wird immer beliebter, die Berliner haben es vom ersten Tag an erobert und es kommen Massen von Menschen auf das Feld.“ Von der Betreibergesellschaft Grün Berlin wisse man, dass an manchen Tagen mehr als 50.000 Besucher kämen.

Das Tempelhofer Feld könnte Vorbild für Seoul sein

Witt zählt auf, was die Besucher auf dem Feld treiben: „Malen, Kreistanz, Yoga, Rumsitzen, Gärtnern, Trainieren, Schlafen, Parcours-Fahren und und und.“ Hinzu kämen weniger sichtbare Aktivitäten wie die Befassung mit der Historie des Geländes und seiner Artenvielfalt. Für fast jeden sei etwas dabei, das Feld diene als Freiraum zur persönlichen Entfaltung – ob allein oder in Gemeinschaft.

Das Konzept, eine riesige Brachfläche mitten in der Stadt ihren Bewohnern und deren Gestaltungsideen zur Verfügung zu stellen, findet laut Witt auch international Beachtung. Zuletzt seien viele Besucher aus Korea gekommen, sie prüfen ähnliche Möglichkeiten für ihre Hauptstadt Seoul. Dort wird im Jahr 2023 eine Militärbasis geschlossen.

Das Dokumentarfilm-Projekt Field Trip, sammelt Geschichten über Menschen, die mit dem Tempelhofer Feld auf besondere Weise verbunden sind. Alle Dokus über diese Menschen finden Sie auf unserer interaktiven Webseite fieldtrip.tagesspiegel.de

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Doch auch das, was Witt als Erfolgsgeschichte preist, lässt viel Platz für weitere Kapitel. „Die Mails mit dem Betreff ,Toiletten’ kann ich nicht mehr zählen“, sagt die Vereinsvorsitzende, genau wie die Nachfragen nach Bäumen, Bänken, Kinderspielgeräten. „Die Aufenthaltsqualität kann ganz sicher an der einen oder anderen Stelle verbessert werden“, sagt Witt mit Verweis darauf, dass derlei immer mal wieder angekündigt, aber nicht realisiert worden ist.

Toiletten sollen in den nächsten Jahren erneuert werden

Und zur Wahrheit gehört auch, dass das Feld vor allem junge Leute und Sportler anlockt. Flaneure und Senioren sind kaum zu sehen, weil ein Spaziergang über eine knapp zwei Kilometer lange Ex-Startbahn ohne Schatten und Sitzgelegenheit eben nicht attraktiv ist. Oder sogar – wenn wie jetzt die Sonne brennt oder im Winter eisiger Wind pfeift – fast unerträglich.

Die Toiletten sollen nach Auskunft von Grün Berlin in den nächsten zwei bis drei Jahren erneuert und erweitert werden. Ansonsten heißt es: „Die Ziele und Inhalte einer behutsamen Entwicklung werden in einem breit angelegten Partizipationsprozess gemeinsam mit der Bevölkerung erarbeitet.“ Das Tempelhof-Gesetz zementiert den Status quo – im Guten wie im Schlechten.

Für eine Randbebauung bräuchte es eine breite Bürgerbeteiligung

Längst gibt es auch in der rot-rot-grünen Koalition Stimmen, die eine Randbebauung auf der Tempelhofer Seite fordern. Sie tun das nur nicht zu laut, weil sie um das Ausmaß der Niederlage wissen, die der Volksentscheid 2014 für Regierungschef Michael Müller (SPD) bedeutete. Er hatte damals als Stadtentwicklungssenator die Bebauungspläne forciert. Jetzt gilt für die Koalitionäre: nicht mehr in dieser Legislaturperiode – in der der Koalitionsvertrag die Bebauung ohnehin ausschließt – und nicht ohne erneute breite Bürgerbeteiligung.

Auf Mareike Witt und ihre Mitstreiter brauchen die Befürworter allerdings nicht zu hoffen: „Sicher brauchen wir Wohnungsbau in Berlin. Dieser darf aber nicht gegen Grünflächen in der Stadt ausgespielt werden“, sagt sie.

100 Prozent müssten 100 Prozent bleiben, alles andere würde das Vertrauen der Bürger in die Politik und damit auch die Demokratie insgesamt beschädigen. Solange anderswo in der Stadt mit baureifen Flächen spekuliert werde, komme eine Bebauung auch nur des Randstreifens des Tempelhofer Feldes nicht infrage.