Seit über zwei Wochen bestimmt Berlins Landesschülerausschuss die Diskussion über die Prüfungen zum Abitur und zum Mittleren Schulabschluss. In der Nacht zum Ostermontag hat sich nun der Landeselternausschuss zu Wort gemeldet – mit einer dreiseitigen Stellungnahme zu „Prüfungen, Fernunterricht und Wiedereröffnung der Schulen in Zeiten pandemiebedingter Schulschließungen“.
Unmittelbarer Anlass ist die Besprechung der Kultusministerkonferenz (KMK) in dieser Woche: Da vier Bundesländer – Berlin, Brandenburg, Hamburg und Schleswig-Holstein – ab dem 20. April mit ihren Abiturprüfungen beginnen sollen und viele Schüler Angst vor Ansteckung haben, wird das Thema die KMK beschäftigen.
Während der Landesschülerausschuss (LSA) zuletzt harsche Kritik an Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) und ihrer Absage an einen Berliner Sonderweg beim Abitur übte und den Regierenden Bürgermeister um Hilfe bat, schickte Landeselternsprecher Norman Heise „zur Klarstellung“ voraus, dass er in der aktuellen Krise „sehr gut“ mit der Berliner Senatsbildungsverwaltung zusammenarbeite.
Die Prüfungen zum Abitur – wie kann es gehen?
Der Landeselternausschuss (LEA) hält eine „bundesweit einheitliche Lösung zum Abitur für zwingend notwendig“. Einzellösungen zum Nachteil der Berliner Schüler in Bezug auf die Immatrikulation in anderen Bundesländern dürfe es nicht geben. Das Gremium betont, dass es die Sorgen der Schüler und Eltern teile, „ob die Prüfungen unter den gesetzten Rahmenbedingungen ohne Nachteile durch die aktuelle Pandemie-Situation regulär stattfinden können“.
Die Kultusministerkonferenz müsse deshalb am 14. April die „deutschlandweit geltende Durchführung der Abiturprüfungen erklären, andernfalls deren Absetzung und eine ersatzweise Anerkennung des Abiturs mittels Notendurchschnitts beschließen“.
Falls die KMK an der Durchführung der Prüfungen festhält – was der Landesschülerausschuss kategorisch ablehnt – fordert der LEA:
- Eine Gefährdungsbeurteilung und Machbarkeitsanalyse aus Sicht des Infektionsschutzes, aus der hervorgeht, dass die von Bundesland zu Bundesland teils unterschiedlichen Regelungen zur Vermeidung von Ansteckungen sicher sind und an allen Schulen umgesetzt werden können.
- Die Regelungen für Schüler, die selbst zu Risikogruppen gehören und für die Einzellösungen ermöglicht werden, sollen auf die Schüler ausgeweitet werden, deren Familienangehörige ebenfalls zu Risikogruppen gezählt werden. Außerdem solle es diesen zu Prüfenden freigestellt sein, ob sie an den Prüfungen teilnehmen oder ob das Abitur aufgrund der Jahrgangsnoten ermittelt wird.
- Die Teilnahme am Hauptprüfungstermin soll flexibel gehandhabt werden. Den Schülern soll freigestellt werden, ob sie an diesem oder dem ersten Nachschreibetermin teilnehmen wollen.
- Im Falle eines so genannten Durchschnittsabiturs, berechnet aus den Semesternoten, sollen Schüler trotzdem die Gelegenheit zum Ablegen von Prüfungen bekommen – besonders jene, „deren Jahrgangsnoten nicht die besten sind, die für sich selbst aber einen besseren Abschluss mittels Prüfung erwarten“.
- Falls die Prüfungsergebnisse unter den Bedingungen der Coronakrise schlechter ausfallen als in den Vorjahren, fordert der LEA Regelungen, wie damit umgegangen wird. Er beruft sich dabei auf die Äußerung der KMK, dass den Schülern aus der Situation kein Nachteil entstehen dürfe.
Mittlerer Schulabschluss: Prüfungen nicht für alle
Die Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss (MSA) sollen für dieses Schuljahr nur für die Schüler abgehalten werden, die nach der 10. Klasse die Schule abschließen oder nicht in die Oberstufe versetzt werden, fordert der LEA. Hierbei sollen die gleichen Grundsätze gelten – Risikogruppen, ausreichende Vorbereitungszeit – wie bei den Abiturienten.
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Für die Schüler, die in die Oberstufe versetzt werden, soll für das Schuljahr 2019/2020 die Versetzung ausreichen, um den MSA zu erteilen. Alternativ kann der MSA mit Berechtigung zum Zugang zur gymnasialen Oberstufe so vergeben werden, wie es jetzt schon bei längeren Auslandsaufenthalten möglich ist.
Damit bleibt der LEA hinter Forderungen der Bezirkselternausschüsse Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf zurück, die sich vor Ostern vehement gegen die MSA-Prüfungen ausgesprochen hatten. Auch mehrere Schulleiterverbände hatten sich gegen die Prüfungen positioniert. Schulleiter weisen besonders auf die schwierige Situation bei den mündlichen Prüfungen und den Präsentationsprüfungen hin, die Bestandteil von MSA und beim Abitur sind: Ansteckungen seien dabei kaum vermeidbar, hieß es.
Mindeststandards für Fernunterricht – und die Kommunikation der Lehrer
Der LEA geht davon aus, dass die Schulen „nur schrittweise und nach Jahrgängen gestaffelt“ wieder zum Normalbetrieb übergehen können. Daher würden „Schichtbetrieb und Fernunterricht“ – und vor allem Homeschooling – den Schulalltag aus Infektionsschutzgründen zwangsweise noch länger begleiten. Daraus leitet der LEA verschiedene Forderungen ab.
Dazu gehört, dass das Ausmaß des Fernunterrichts nicht mehr dem Zufall oder der individuellen Einschätzung der Lehrer überlassen werden soll. Die Fächer Kunst, Musik und Sport etwa würden „momentan untergehen“. Stattdessen soll die Senatsbildungsverwaltung „Mindeststandards“ definieren. Dabei wird insbesondere gefordert:
- dass die Lehrkräfte sich untereinander bezüglich des Umfangs der Aufgabenverteilung abstimmen,
- dass die Schüler ausreichende und zeitnahe Rückmeldungen zu den gelösten Aufgaben erhalten; es solle eine verlässliche Kommunikation geben,
- dass alle Lehrkräfte während der sonst üblichen Arbeits- bzw. Schulzeit, im besten Fall „von 8 Uhr bis 16 Uhr“ für die Schüler erreichbar sein müssen,
- das kein Berliner Schüler dadurch benachteiligt wird, „dass Lehrer die direkte Kommunikation verweigern“,
- dass Lehrkräften, die sich der Kommunikation grundsätzlich verweigern, die Schulleitungen „einen Arbeitsplatz an der Schule zuweisen“ sollen,
- dass Lehrkräfte an den weiterführenden Schulen von sich aus täglich mit ihren Schülern den Kontakt suchen sollen – per E-Mail oder über Messenger-Dienste -, um sie bei der Bearbeitung ihrer Arbeitsaufträge zu unterstützen,
- dass von der Senatsbildungsverwaltung eine Hotline eingerichtet wird, sollte es Probleme in der Erreichbarkeit der Lehrer geben. Bis dahin sollen die Eltern die Schulaufsichten kontaktieren, wenn Sie über die Schulleitung nicht weiterkommen.
Wiedereröffnung der Schulen mit Unterricht in den Sommerferien?
Die große Frage lautet: Wie kann die verlorene Unterrichtszeit nachgeholt werden, wenn der Unterrichtsbetrieb wieder beginnt? Der LEA fordert dafür Konzepte und empfiehlt, dazu die Berliner Expertenkommission zur Verbesserung der Schulqualität zu befragen, die unter der Leitung des Kieler Professors Olaf Köller arbeitet. Auch die Empfehlungen der Verbände sollen berücksichtigt werden.
Da die Berliner Schulen „auch schon vor der Corona-Krise mit erheblichen Problemen kämpften, den Unterrichtsstoff der Hauptfächer wie Mathematik nachhaltig und erfolgreich zu vermitteln“, hat der LEA besondere Sorge, dass die Lücken noch größer werden. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, fordert der LEA, dass:
- „mit Blick auf den Rahmenlehrplan und schulinterne Curricula zu prüfen ist, welche Inhalte weitestgehend schadlos weggelassen werden können,
- Lernstandserhebungen für die Schüler durchzuführen sind, um eventuell Verpasstes und noch nicht Vermitteltes in Form von (verbindlichen) Sommerschulen in den großen Ferien aufzuholen,
- in den ersten zwei Wochen nach Wiederaufnahme des Lehrbetriebs keine Klassenarbeiten, Klausuren oder andere schriftliche Leistungstests durchgeführt werden,
- besonderes Augenmerk auf die Schüler*innen zu legen ist, die im kommenden Schuljahr ihr Abitur oder ihre MSA ablegen werden. Hier ist es fraglich, ob der zu lernende Stoff in der Zeit aufgeholt werden kann, denn insbesondere in den Leistungskursen fehlt nun bereits ein ganzer Block“.
Die gesamte Stellungnahme des Landeselternausschusses lässt sich hier als PDF herunterladen. Die Kontakte zu den Schulaufsichtsbeamten sind hier auf der Seite des LEA zu finden.