/Wie Freiwillige ihren Start in Kliniken und Heimen erleben

Wie Freiwillige ihren Start in Kliniken und Heimen erleben

Drei Covid-19-Patienten hat Fabienne Nilles bisher mitbetreut, richtig nahe kam sie ihnen nicht. Auf der Intensivstation im St. Vinzenz-Hospital im nordrhein-westfälischen Dinslaken arbeiten die Pflegerinnen immer zu zweit: Eine Kollegin tritt direkt ans Krankenbett, Fabienne Nilles steht im Türrahmen, reicht die Medikamente herein, nimmt die Blutproben entgegen, ist zuständig für die Dokumentation.

Alle drei Patienten haben überlebt, sagt Nilles. Sie weiß, dass es nicht immer so glimpflich verlaufen wird.
Eigentlich ist Fabienne Nilles, 26, Medizinstudentin. Zehntes Semester, ein halbes Jahr fehlt ihr zum zweiten Staatsexamen. Statt zu Hause zu lernen, hat sie jetzt eine Vollzeitstelle auf der Intensivstation. Nilles ist eine von Tausenden, die in der Coronakrise helfen wollen. Als freiwillige Verstärkung, damit das deutsche Gesundheitssystem in den nächsten Wochen und Monaten hoffentlich nicht zusammenbricht.
Denn einerseits fürchten Experten, dass die Kurve der Neuinfektionen nach der Lockerung der Shutdown-Maßnahmen nun zu ihrer exponentiellen Steigerung zurückkehren wird – und dass diese sogenannte zweite Welle dann verheerender ausfällt als die erste. Schon allein deshalb, weil sich das Virus mittlerweile in Deutschland verteilt hat, es also über viel mehr Startpunkte verfügt, um sich rasant auszubreiten.

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Andererseits hat bereits die erste Welle das medizinische Personal in vielen Kliniken erheblich ausgedünnt. Laut Robert-Koch-Institut haben sich bislang mindestens 8300 Mitarbeiter in Kliniken und Arztpraxen mit dem Virus infiziert, 13 Mitarbeiter sind gestorben. Die tatsächlichen Zahlen könnten jedoch deutlich höher liegen, da bei 40 Prozent der deutschlandweit Infizierten die berufliche Tätigkeit in der Statistik gar nicht erfasst ist.

Wie viele Mitarbeiter in Berlin betroffen sind, ist unklar. Die Senatsverwaltung für Gesundheit kann auf Anfrage des Tagesspiegels keine Zahlen nennen.

Neben Medizinstudenten wie Fabienne Nilles werden auch Ärzte und Pfleger gebraucht, die ihrem Beruf vor Jahren den Rücken gekehrt haben. Die längst in einer anderen Branche arbeiten oder sich ganz zur Ruhe gesetzt haben. Die Frage ist: Werden sich genug Freiwillige finden? Und können so am Ende Menschenleben gerettet werden?

Das St. Vinzenz-Hospital in Dinslaken, in dem die Medizinstudentin Fabienne Nilles jetzt arbeitet, ist eine kleine Klinik. Auf der Intensivstation, auf der sämtliche schweren Coronafälle landen, stehen nur 13 Beatmungsbetten bereit. Bevor Nilles mit der Arbeit beginnt, zieht sie ihre Schutzkleidung an. Brille, Handschuhe, FFP3-Maske, Kittel. Schutzhauben für die Haare sind schon nicht mehr lieferbar.

Fabienne Nilles arbeitet jetzt Vollzeit auf der Intensivstation.Foto: privat

Nilles hofft, dass der Vorrat der restlichen Ausrüstung noch lange hält, es vor allem keine Probleme mit Maskenlieferungen geben wird. „Ungeschützt, also ohne FFP2-Maske, würde ich die Patientenzimmer nicht betreten“, sagt sie. „Ich finde, der Eigenschutz geht vor.“

Nilles hat bereits Erfahrung in der Krankenpflege. Seit fünf Jahren arbeitet sie als studentische Aushilfe in der Klinik. „Leider ist unser Studium nicht sehr praxisorientiert“, sagt sie. „Es bereitet uns nicht genug auf die Realität vor.“ Deshalb hat sie in den Semesterferien regelmäßig als Pflegerin gearbeitet. Krankheitsbilder, die sie für Prüfungen an der Hochschule lernen musste, konnte sie hier beobachten.

Als die Klinik nun beschloss, für den Corona-Ernstfall vorzusorgen und aufzurüsten – an Geräten, an Schutzkleidung und an Mitarbeitern –, sprach die Personalleiterin auch Nilles an, fragte, ob sie Vollzeit einsteigen könne. Nilles will, zumindest bis die Uni wieder losgeht. Sie sagt: „Ich sehe mich in der Verantwortung, jetzt zu helfen.“

Einsteigen wollte auch Cosima Gasset, 28, aus Berlin-Wilmersdorf. Vor drei Jahren machte sie ihren Bachelor als Krankenschwester an der Evangelischen Hochschule, entschied sich dann jedoch zunächst für eine andere Branche: Weil ihre Mutter krank wurde, fing sie zur Unterstützung in deren Unternehmen an – einer bekannten Berliner Modelagentur. Cosima Gasset war für die Rundumbetreuung der Models zuständig.

Sie sagt, es klinge vielleicht seltsam, aber einige ihrer Fähigkeiten aus dem Pflegebereich konnte sie auch im Agenturalltag anwenden: „Hier muss ich ebenfalls kommunizieren, Trost spenden, Zuhören können.“

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Doch da war auch immer der Gedanke, dass andere Menschen ihre Zuwendung nötiger haben, dass ihre Arbeit woanders erfüllender sein könnte. „In den vergangenen Monaten habe ich oft mit dem Gedanken gespielt, in die Pflege zurückzukehren.“ Die Berichte über die Ausbreitung des Virus und den Bedarf an medizinischem Personal habe dann den letzten Ausschlag gegeben. Ihr Vater, der in Madrid lebt, sagte: „Als Vater wäre es mir lieber, wenn du dich da fernhältst. Aber ich verstehe, dass du jetzt helfen möchtest.“

Im Internet suchte Gasset nach Wegen, um herauszufinden, wer ihre Unterstützung überhaupt benötigt, und stieß auf wirwollenhelfen.de. Eine Plattform, gegründet vom Berliner Startup Medwing, die Einsatzwillige und Arbeitgeber in der Coronakrise zusammenbringen will. Auf der Seite können sich Interessierte kostenlos registrieren und angeben, in welchen Bereichen sie bisher gearbeitet haben, welche Abschlüsse sie besitzen, welche Arbeiten sie sich jetzt vorstellen können. Dazu laden sie ihre Zertifikate hoch. Mehr als 8000 Menschen haben dies bereits getan.

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Gleichzeitig telefoniert das Team von „Wir wollen helfen“ bundesweit Kliniken ab und erstellt Bedarfspläne: Welche Häuser benötigen bereits jetzt dringend Freiwillige und welche erst für den Fall, dass sich die Lage zuspitzt – und für welche Tätigkeit?

Etwa 40 Prozent der Bewerber haben früher als Krankenpfleger gearbeitet, sagt die Sprecherin der Plattform am Telefon. Weitere 30 Prozent als Ärzte, dazu kommen 30 Prozent, die sich als „Volunteers“ registrieren, also über keinerlei medizinische Ausbildung verfügen, aber dennoch helfen wollen, wo es eben geht. Und sei es durch Einkäufe für Angehörige von Risikogruppen. Freiwillige, die Einzelpersonen helfen, werden dafür nicht bezahlt. Medizinisches und pflegerisches Fachpersonal erhält in der Regel einen Arbeitsvertrag und ein branchenübliches Gehalt von der jeweiligen Einrichtung.

Interaktive Karte

Bei Cosima Gasset dauerte es zweieinhalb Wochen, bis ein Angebot kam. Ob sie sich vorstellen könne, nicht in einer Klinik, sondern einem Pflegeheim zu arbeiten? „Natürlich“, schrieb Gasset zurück. Am Montag fängt sie in einem Steglitzer Heim an, zunächst Teilzeit, ihr Arbeitsplan steht schon bis Juni. Ob es in ihrem Heim Covid-Patienten gibt, weiß sie nicht. „Auf jeden Fall ist es ein guter Einstieg. Nach drei Jahren Modelagentur gleich auf der Intensivstation einer Klinik anzufangen, wäre wahrscheinlich eine Herausforderung gewesen.“

Malte Kendel, 29, hat schon zum 1. April angefangen. Auf der Intensivstation der Klinik in München-Schwabing. Der Anruf, dass er gebraucht werde, kam an einem Dienstag um 11 Uhr – zusammen mit der Frage, ob er um 14 Uhr zur Vertragsunterzeichnung vorbeischauen könne. Einen Tag später folgten seine Einweisung auf der Station und der Check beim Betriebsarzt.

Die Schwabinger Intensivstation war deutschlandweit die erste, auf der Covid-19-Patienten behandelt wurden. In den vergangenen Wochen wurden die Kapazitäten deutlich ausgebaut, von 20 auf 45 Intensivbetten, eine Aufstockung auf 60 ist denkbar, aber bis jetzt nicht nötig. Solange sich die Situation nicht weiter zuspitzt, wird Kendel nur an Wochenenden und Feiertagen eingesetzt. Den Rest der Woche arbeitet er weiter in seinem eigentlichen Job – er ist Projektleiter bei einem in Europa expandierenden Silicon-Valley-Unternehmen.

Vor acht Jahren hatte er in Darmstadt eine Ausbildung zum Pfleger abgeschlossen, sich dann aber gedacht: Wenn du im Gesundheitswesen etwas verbessern möchtest, musst du auf die kaufmännische Seite wechseln. Er studierte „Gesundheitsmanagement“, arbeitete in den Semesterferien als Honorarkraft in Kliniken, mal in der Onkologie, mal in der Unfallchirurgie.

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Der Anfang in Schwabing war kompliziert. „Viele im Team hatten Vorbehalte gegen mich. Sie machten nicht den Eindruck, als hätten sie begriffen, dass ich tatsächlich zum Helfen gekommen bin.“ Er sei behandelt worden wie „einer, dem man nichts zutraut und den man deshalb im Zweifel in der Ecke rumstehen lassen will“. Manche vom Stammpersonal hätten versucht, alle Aufgaben unter ihrer eigenen Kontrolle zu behalten, bloß keine Verantwortung abzugeben. Kendel sagt, er habe abgewartet und es dann, als sich nichts besserte, im Kollegenkreis angesprochen. Das habe einen Knoten gelöst.

Die Verteilung, welche Aufgaben Neu- und Wiedereinsteiger konkret übernehmen, unterscheidet sich deutschlandweit von Klinik zu Klinik. In Schwabing werden Mitarbeiter wie Malte Kendel, die keine Weiterbildung zur Intensivfachkraft vorweisen können, zur Pflege solcher Covid-19-Patienten eingesetzt, die nicht beatmet werden müssen. Er gibt Medikamente, überprüft Katheter und Infusionen, saugt Schleim ab, wäscht den Patienten. Er überwacht EKG, Atemfrequenz, Sauerstoffsättigung, Blutdruck. Pro Schicht betreut er ein bis zwei Patienten. Bei denen, die beatmet werden, kommt er nur zur Hilfe, wenn sie neu gelagert werden müssen. Von den 18 Covid-Erkrankten, die derzeit auf der Station liegen, werden die meisten beatmet.

Ob er Angst hat, sich selbst mit Corona anzustecken?

„Auf jeden Fall“, sagt er. Allerdings nicht seinetwegen. Er habe ein gutes Immunsystem und keine Vorerkrankung. „Angst habe ich davor, gar nicht mitzubekommen, wenn ich mich anstecke. Und dass ich das Virus dann ungewollt weitergebe – am Ende noch an genau die Leute, denen ich doch eigentlich helfen möchte.“ Wobei ihm die Gefahr, dass er sich im Supermarkt anstecke, größer erscheine als die, sich in der Klinik durch all seine Schutzkleidung hindurch zu infizieren. „Draußen weiß ich halt nicht, ob der Mann neben mir ein Risiko darstellt. Hier weiß ich es genau und kann mich entsprechend verhalten.“

Er sagt, er hat es vermisst, auf eine Weise gebraucht zu werden, die er in seinem Alltag so nicht empfinde. Am Ende einer Schicht auch zu wissen, wem man konkret geholfen hat, Dankbarkeit zu spüren.

Kendel hat zwei Patienten an Covid-19 sterben sehen. Eine Frau, die mit moderaten Symptomen eingeliefert wurde, war nach fünf Tagen tot. Niemand aus ihrer Familie hatte damit gerechnet. Wenn er davon am Telefon erzählt, bricht seine Stimme. Und er sagt, es erschrecke ihn, dass es in Deutschland Menschen gibt, die immer noch an der Gefährlichkeit des Virus zweifeln. „Wie kann man nicht begreifen, dass uns Szenen wie in Italien bisher nur deshalb erspart geblieben sind, weil wir eben früh Präventivmaßnahmen ergriffen haben und weil unser Gesundheitssystem funktioniert?“