/So sehen die neuen Helden aus

So sehen die neuen Helden aus

John Robert Wooden war ein legendärer amerikanischer Basketballtrainer. Als Cheftrainer der Mannschaft der „University of California“ in Los Angeles hatte er zehn Meisterschaften gewonnen, davon sieben in Folge. Er starb 2010 im Alter von 99 Jahren. Berühmt wurde Wooden aber auch durch einen Satz, der bis heute von Eltern zitiert wird, die ihre Kinder erziehen: „Der wahre Charakter eines Menschen zeigt sich an dem, was er tut, wenn ihn keiner beobachtet.“

Millionen Deutsche haben in der Coronakrise gehandelt, ohne ihre Taten an die große Glocke zu hängen. Sie haben sie nicht auf Instagram oder Facebook gepostet, haben sich nicht selbst inszeniert oder nach Lob und Anerkennung gefragt.

Diese Menschen haben ihre Freiheiten eingeschränkt, ohne zu wissen, wie lange es dauert. Sie haben physischen Abstand gewahrt, Gesichtsmasken getragen. Sie sind ins Homeoffice gegangen, haben zu Hause ihre Kinder betreut. Sie organisierten ihr Berufs- und Privatleben um. Nur ihnen ist es zu verdanken, dass die Infektions- und Todeszahlen rückläufig sind.

Und nur ihnen ist es zu verdanken, dass die Ansteckung mit Covid-19 nicht mehr exponentiell verläuft, das Gesundheitssystem nicht überlastet wurde. Auf diese Weise konnten viele Menschenleben gerettet werden. In einem beispiellosen Kraftakt ist es einer Nation gelungen, eine Katastrophe abzuwenden. Jedenfalls vorerst.

Ein beispielloser Kraftakt

Zu Recht richten sich die medialen Scheinwerfer auf die Opfer und ihre Angehörigen, auf die Verzweifelten und Vereinsamten, auf die Arbeitslosen und Überforderten. Zu Recht stehen Virologen, Ärzte, Pfleger und viele andere, die gewissermaßen an der Front kämpfen, im Rampenlicht. Und natürlich wird diskutiert – über Risiken und Freiheiten, Lockerungen und Wirtschaftsfolgen.

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Die Talkshows überschlagen sich, Sondersendungen werden am laufenden Band produziert. Die Sucht nach ein wenig Exotik wiederum stillen die Hygienedemonstranten, die das alles für Vorläufer einer Impf-Diktatur halten.

Sind Deutsche obrigkeitshörig?

Nur die Millionen Menschen, die einfach taten, was notwendig war, die bleiben namenlos. Sie haderten nicht mit ihrem Schicksal und zweifelten nicht, sie kümmerten und sorgten sich, sie nähten Masken und kauften für Betroffene aus sogenannten Risikogruppen ein. Ohne sie wäre alles nichts gewesen.

Interaktive Karte

Sie trugen dazu bei, dass sich in der Gesellschaft psychische Widerstandskräfte entwickelten. Wer die achte Woche Homeoffice mit drei Grundschulkindern aushält, darf sich ebenso als Held fühlen wie ein Intensivmediziner nach einer 16-Stunden-Schicht im Krankenhaus.

Es ist leicht, solche Anpassungsleistungen zu diskreditieren. Die Deutschen tun halt, was man ihnen sagt, sie seien obrigkeitshörig, heißt es aus Ecken, in denen der Zynismus gepflegt wird. Solche Debatten zu führen, ist müßig. Wenn Folgsamkeit bewirkt, dass Kranke geheilt werden, während Rebellentum das Risiko erhöht, dass sie sterben, dann wissen moralisch reife Menschen, wie sie sich entscheiden.

Flexibilität, Phantasie, Verzicht und Ausdauer

Jeder kannte sie doch, die Szenen aus Wuhan und Bergamo. Jeder sah die Konsequenzen einer explosionsartigen Vermehrung des Virus, ob in Italien oder Frankreich, Spanien oder den USA. Wer wissen wollte, wusste Bescheid. Mehr als 270.000 Menschen sind weltweit bereits an Covid-19 gestorben. Diese Zahl spricht für sich.

Die Corona-Pandemie erinnert daran, was wesentlich ist. Sie zerstört die von Big Data und ausgeklügelten Algorithmen genährte Illusion, alles sei berechenbar. Sie verlangt Flexibilität und Phantasie, Verzicht und Ausdauer. Dass Millionen Deutsche diese Tugenden aufgebracht haben, ist ein kleines Wunder, auf das sie stolz sein können.

Alle taten das Richtige, obwohl keiner dabei beobachtet wurde. Der Definition von John Wooden zufolge beweist das – Charakter.