Mehr als 44 Festnahmen, sechs verletzte Polizisten – Demos am Nachmittag angekündigt

Rund um die Weisestraße stehen sich heute hunderte Demonstranten und Polizisten gegenüber. Protestler demonstrieren gegen die Räumung der Kiezkneipe „Syndikat“. Gegen 9.30 Uhr vollstreckte der Gerichtsvollzieher den Beschluss. (Mehr dazu im Blog unten.)

Nach über 35 Jahren ist ein Treffpunkt verschwunden – weil die Eigentümer, eine britische Milliardärsfamilie, der Kneipe gekündigt und vor Gericht gewonnen haben. Für den Freitag sind weitere Demonstrationen angemeldet.

[Lesen Sie mehr bei Tagesspiegel Plus: 35 Jahre existierte das „Syndikat“. Als die Kündigung eintraf, begann ein Kampf gegen Spekulanten und für das letzte bisschen Punk im Schillerkiez. Die Geschichte eines Untergangs.]

Die Nacht vor der Räumung war wechselhaft. Erst bleib es lange friedlich, dann wurden die Proteste immer aufgeladener. Die Polizei nahm Personen im „zweistelligen Bereich“ vorläufig fest.

Am vergangenen Samstag demonstrierten bereits rund 2500 Menschen gegen die angekündigte Räumung. Die Polizei löste die Demo nach weniger als einer Stunde auf, es kam zu chaotischen Szenen zwischen Demonstranten und Polizisten.

Tagesspiegel-Recherche: das sind die Eigentümer

Hintergründe zum Eigentümer des Hauses in der Weisestraße hat der Tagesspiegel in Zusammenarbeit mit dem Recherchezentrum Correctiv mit dem Projekt „Wem gehört Berlin?“ aufgedeckt. Die Milliardärsfamilie Pears, der das Haus gehört, zählt zu Berlins Großeigentümern. Hinter ihr stehen mehrere Briefkastenfirmen im Ausland, durch die sie in Berlin weitgehend anonym agieren können.

Polizeisprecher: „Unser Konzept hat soweit funktioniert“

Rund um die Räumung im Schillerkiez waren am Freitag rund 700 Polizisten im Einsatz, wie Thilo Cablitz, Sprecher der Berliner Polizei, dem Tagesspiegel auf Anfrage bestätigte. „Unser Konzept hat soweit funktioniert“, sagte Cablitz, der Gerichtsvollzieher habe seine Arbeit erledigen und auch die Versammlung nach einer Verlegung um 37 Meter stattfinden können. Die Stimmung der mehreren hundert Demonstranten sei „zunächst ausgelassen, später emotional und dann aggressiv“ gewesen. Genaue Zahlen zu Festnahmen und Verletzten gab es am Freitagnachmittag noch nicht. Bis 5 Uhr morgens waren 44 Menschen vorläufig festgenommen worden, auch anschließend hatte es weitere Festnahmen gegeben.

„Wir hoffen auf einen friedvollen Verlauf und darauf, dass das Thema der Versammlung bei den Protesten im Vordergrund steht“, sagte Cablitz zu seinen Erwartungen für den Rest des Tages. Am Nachmittag sind weitere Proteste angekündigt. Die Polizei sei auch darauf vorbereitet, dass eventuell Straftaten verübt werdne könnte, sagte Cablitz. Nach Tagesspiegel-Informationen könnten die Linksautonomen am Abend eher den Nachbarbezirk Friedrichshain-Kreuzberg für ihre Aktionen in den Blick nehmen.

Hikel: „Es gibt nur Verlierer“

„Erfreulicherweise sind die Proteste im Vergleich zum letzten
Wochenende nicht ausgeartet“, sagte Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) auf Anfrage. Und weiter: „Trotzdem: Das ist kein guter Tag für Neukölln. Es gibt eigentlich nur Verlierer. Der Kiez hat seine Kiezkneipe verloren und die Polizei wird jetzt zum Buhmann gemacht, weil sie geltendes Recht durchsetzt. Es gibt nur einen Gewinner, und das sind die Pears-Brüder, die in London sitzen. Es bleibt dabei: Soziale Infrastruktur von Kitas über Jugendclubs bis hin zu Kiezkneipen müssen erhalten bleiben, damit unsere Stadt ihren Charakter nicht verliert.“

Erste Bilanz der Polizei

Die Polizei nahm nach ersten Zahlen bis zum frühen Morgen 44 Menschen vorläufig fest, wie ein Sprecher der „Bild“-Zeitung sagte. Sechs Polizisten wurden demnach verletzt. Etwa 700 Polizisten sollten über den ganzen Tag verteilt für die Absperrungen im Einsatz sein. (dpa)

Kritik von der Linken, Lob von der AfD

Die Neuköllner Linken kritisieren den Polizeieinsatz zur Räumung des Syndikats als „völlig unverhältismäßig“. Die Polizei habe „große Teile des Neuköllner Schillerkiez zur Sperrzone gemacht und mit massiver Gewalt die Profitinteressen eines undurchsichtigen Immobilienunternehmens gegen die Menschen in Neukölln durchgesetzt“, heißt es in einer Pressemitteilung. Man sei „entsetzt und enttäuscht, dass das unter einem rot-rot-grünen Senat passieren konnte“.

Lob für die Polizeiarbeit kommt hingegen aus der AfD. Innenexperte Karsten Woldeit sagte: „Ich danke allen eingesetzten Polizisten für die gute Arbeit bei der Räumung der Kneipe und beim Unterbinden und Verfolgen von Straftaten der Demonstranten.“ Erschreckend sei jedoch, „dass sich linksextremistische Strukturen unter der Schirmherrschaft von Rotrotgrün derart ausgebreitet und verfestigt haben, dass für die Räumung einer simplen Kneipe 700 Beamte aufgeboten werden müssen.“

Stadtrat: „Bezirksamt will genau hinschauen“

„Ich bedauere sehr, dass der Eigentümer nicht zu Gesprächen bereit war, dann hätte diese Eskalation vielleicht verhindert werden können“, sagte der zuständige Neuköllner Baustadtrat, Jochen Biedermann (Grüne), auf Anfrage. Das Bezirksamt werde „in jedem Fall genau hinschauen, was nun in und mit dem Haus passiert“, sagte er weiter.

Weitere Proteste für den Nachmittag angekündigt

Im Schillerkiez hat sich die Lage beruhigt. Die Weisestraße ist nach wie vor abgeriegelt, rund herum sitzen Polizisten und Demonstranten mit Pausenbrot.

Am Nachmittag könnte es zu erneuten Krawallen kommen: Um 17 Uhr soll eine Demonstration gegen die Räumung am Herrfurthplatz starten. Ab spätestens 21 Uhr soll es zu spontanen, dezentralen Kundgebungen und Aktionen vor verschiedenen räumungsbedrohten Häusern und Projekten in verschiedenen Teilen Berlins kommen, dem selbsterklärten „Tag X gegen Verdrängung“ der linksautonomen Szene.

In der Straße vor der nun ehemaligen Kneipe Syndikat stehen Dutzende Mannschaftswagen der Polizei.

Bild:
Madlen Haarbach

Schrader: Vorgehen der Polizei „ziemlich martialisch“

„Die Räumung ist eine Niederlage für die Politik und natürlich auch für R2G, weil hier ein Stück Kiezkultur verloren geht“ sagte der Linken-Innenexperte Niklas Schrader dem Tagesspiegel vor Ort. Schrader war als parlamentarischer Beobachter, aber auch Anwohner und Sympathisant bei der Räumung, wie er sagt.

Er kritisierte das Vorgehen der Polizei als „ziemlich martialisch“, vor allem was Straßensperrungen, die Einschränkung der Versammlungsfreiheit und Ansprachen bei Gewerbetreibenden betreffe. Die Taktik der Polizei sei zwar aufgegangen, habe aber auch dazu beigetragen, den Kiez gegen die Polizei aufzubringen. „Die Polizei hat dazu beigetragen, ihr eigenes Feindbild zu pflegen“, sagte Schrader.

Das #Syndikat ist dicht und das ist eine Niederlage für die Politik. Abgesehen von dem martialischen Polizeieinsatz: Wir brauchen in Berlin einen anderen Umgang mit bedrohten Projekten und müssen dazu in der Koalition erneut in die Auseinandersetzung gehen. #b0708

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https://twitter.com/nikschrader/status/1291649275768733697

FDP-Fraktionschef: Erpressungsversuche „linker Chaoten“ nicht dulden

FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja hat ein konsequentes Handeln bei der Zwangsräumung der Kiezkneipe gefordert. „Heute muss der Innensenator zeigen, dass in Berlin das Eigentumsrecht noch einen Wert hat“, erklärte Czaja am Freitagmorgen. „Die Erpressungsversuche linker Chaoten dürfen nicht länger geduldet werden. Hier geht es nicht um die Rettung einer Kneipe, sondern um die Ablehnung unserer rechtsstaatlichen Ordnung zum Vorteil einiger weniger“, sagte der FDP-Politiker. (dpa)

Lage rund um die Weisestraße beruhigt sich

Die Lage im Schillerkiez beruhigt sich langsam. An den Kreuzungen stehen Polizisten und haben das Geschehen im Blick, spontane Protestzüge werden von den Beamten gestoppt.

Die Taktik der @polizeiberlin geht offenbar auf. Polizist*innen sind an den Kreuzungen im Schillerkiez postiert, Spontis werden gestoppt, keine größeren Auseinandersetzungen, Demonstrant*innen stehen oder sitzen in Kleingruppen herum. #b0708 #Syndikat pic.twitter.com/672rfOu5b2

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https://twitter.com/madlen_hapunkt/status/1291648405090050048

Hermannstraße wieder für den Verkehr freigegeben

Die Hermannstraße ist jetzt wieder für den Verkehr freigegeben worden. Die Mannschaftswagen stehen noch. Polizisten stehen zusammen, frühstücken und trinken Kaffee. Gleiches bei den Aktivisten: Vor den Bäckern und Spätis bilden sich kleine Schlangen.

Spontane Demozüge im Schillerkiez

Im Schillerkiez formieren sich nach der vollstreckten Räumung des Syndikats kleine spontane Demozüge. Die Polizei stoppt einen Aufmarsch an der Selchower Straße/Ecke Schillerpromenade. Die Stimmung ist weiter gereizt, es kommt immer wieder zu kleinen Rangeleien zwischen Demonstranten und Polizei.

Bild:
Madlen Haarbach

Hermannstraße komplett gesperrt

Die Hermannstraße ist ab Höhe Flughafenstraße komplett gesperrt. In der Hermannstraße stehen Polizeiwagen. Die Polizisten tragen Getränke und Verpflegung in Richtung Herrfurthstraße. Gerade eben wurde eine neue Fuhre Absperrgitter angeliefert.

Syndikat ist geräumt

Die Räumung der Punkkneipe Syndikat ist nach 35 Jahren im Kiez vollstreckt worden, berichtet unsere Reporterin vor Ort. Bei den Demonstranten macht sich Ernüchterung breit. Immer wieder kommt es zu kleineren Rangeleien, die sich aber schnell auflösen.

Gerichtsvollzieher hat sich Zugang verschafft

Der Gerichtsvollzieher hat die Tür zum Syndikat geöffnet und sich Zugang verschafft. Er ist nun in Begleitung der Polizei in dem Gebäude verschwunden.

Gerichtsvollzieher kann die Tür offenbar nicht öffnen

Der Gerichtsvollzieher hat offenbar Probleme, die Tür zum Syndikat zu öffnen, wie unsere Reporterin vor Ort beobachtet. Er versuche es nun in Polizeibegleitung durch eine Hintertür. Die Polizei hat Lage in der Weisestraße sehr gut unter Kontrolle, die Demonstranten haben keine Chance, in die Nähe der Kneipe zu gelangen.

Stimmung wieder friedlicher

Der Gerichtsvollzieher ist nun in Polizeibegleitung vor dem Gebäude. Die Stimmung an den Absperrungen hat sich etwas beruhigt.

Rangeleien, Festnahme und Tränengas

Der Gerichtsvollzieher ist in der Weisestraße erschienen. Die Stimmung ist jetzt gereizt. Es kommt zu Rangeleien, die Polizei setzt Tränengas ein.

Gerichtsvollzieher erscheint

In der Weisestraße stehen sich hunderte Demonstranten und Polizisten gegenüber. Vor der Kneipe ist die Straße abgesperrt und menschenleer. Aus der Demo und den umliegenden Häusern scheppert es – Unterstützer der Kneipe Trommeln auf Töpfe. Um 8.35 Uhr erscheint der Gerichtsvollzieher, begleitet von lauten „Haut ab!“-Rufen.

„Scheppern“ in der Weisestraße

Lautstark verschaffen Demonstranten sich Gehör. Um 9 Uhr soll der Gerichtsvollzieher anrücken.

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