/„Ich bin der Boss, ich bin der Boss, ich bin der Boss!“

„Ich bin der Boss, ich bin der Boss, ich bin der Boss!“

Ein äthiopisches Restaurant in Charlottenburg:  Nura Habib Omer betritt den Raum, die Sängerin, Rapperin und Podcasterin ist sofort ganz da, umarmt alle, selbstverständlich duzt man sich, der Auftritt macht klar: alles andere wäre totaler Quatsch. Nuras Bruder Ramadan begleitet sie, ein fröhlicher Typ mit medizinball-großem Afro. Er ist ihr „Daily Manager“, erklärt er, Vollzeit – die beiden wohnen zusammen. Neulich hat er sogar gestoppt, wie lange seine Schwester morgens im Bad braucht, damit er besser planen kann: 45 Minuten. Warum ausgerechnet dieser Treffpunkt? „Es gibt Mama-Essen hier“, sagt Nura. Ihre Eltern stammen aus Eritrea – „das ist ein und dieselbe Kultur. Meine Kultur!“

 Nura, was machen wir hier im gutbürgerlichen West-Berlin? Deine Musik, dein ganzer Auftritt klingt nach Kreuzberg oder Neukölln.

Ich habe zuerst in Kreuzberg gewohnt, dann lange in Friedrichshain. Aber ich bin weggezogen, weil es so viele Probleme gab. Jeder wusste, wo ich wohne, ich hatte gar keine Privatsphäre mehr. Da war eine Schule, es gab Uhrzeiten, da konnte ich nicht rausgehen.

Nervt dich die Aufmerksamkeit?

Im Gegenteil: Ich habe übertrieben Bock drauf, dass Leute mich anquatschen und sagen, sie hören meine Musik und wollen ein Foto. Aber es gibt Tage, wo ich einfach kurz was erledigen will, zum Späti oder in den Drogeriemarkt, Waschmittel kaufen, und dann zurück ins Bett. Ich bin privat eigentlich auch nicht geschminkt, und ich mag das auch sehr – aber dann will ich nicht so gern Fotos machen.

Machst du viele schlechte Erfahrungen mit der Öffentlichkeit?

Nur im Internet. Mir persönlich ins Gesicht hat noch nie jemand etwas Schlechtes gesagt. Noch nie! Und es kommt immer auf die Sachen an, die ich ausspreche: Nach meinem Auftritt beim #wirsindmehr-Konzert in Chemnitz habe ich Hate bekommen. Da finde ich es echt lustig, dass ich Hate bekomme dafür, dass ich etwas sage – und Leute, die die Schnauze halten, nicht. Ich habe einmal ein AfD-Plakat abgerissen, da hieß es: Ich schlitz dich auf. Aber es kam keiner. Dann die Beleidigungen gegen meine Hautfarbe: Scheißneger. Ja, ich bin dunkelhäutig, und jetzt? So was verletzt mich nicht. Die Rechten merken: Oh, die kleine Schwarze hat eine krasse Reichweite. Und ihre Fans sind nicht blöde. Ich bin ein ebenbürtiger Gegner.

In einem Fragebogen hast du auf die Frage, was du mal gerne für einen Tag wärst, geantwortet: weiß.

Ganz im Ernst: Dann wären viele Sachen ganz anders. Ich würde nicht blöde angeglotzt werden, wenn ich in der Bahn neben irgendeiner Oma Richtung Osten fahre. Manche Menschen sagen mir dann: Hä, mir ist das noch nie passiert – ach, komisch, mit deinem blonden Lockenköpfchen! Man müsste manche Leute für einen Tag schwarz machen. Fahr mal durch den Osten, fahr mal durch irgendwelche Dörfer – und guck, wie das ist.

Du warst drei, als deine Mutter mit deinen drei Geschwistern nach Deutschland geflohen ist.

Nura: Ja, wegen des Golfkriegs. Meine Eltern kommen aus Eritrea, ich bin geboren in Kuwait City, mein Vater hat da gearbeitet. Er ist dageblieben, heute haben wir eigentlich keinen Kontakt zu ihm. Oder, Ramadan, haben wir ihn danach noch mal gesehen?

Ramadan: Ja, wir sind zu meinem 18. Geburtstag nochmal hingeflogen, vor 15 Jahren.

Nura: Ach ja, stimmt – wir haben zusammen mit meiner Mama eine Pilgerfahrt nach Mekka gemacht. Da war mein Vater, stimmt. Aber ich erwähne ihn eigentlich nie.

Wie war die Flucht?

Ramadan: Wir vier Geschwister und unsere Mom sind ins Flugzeug gestiegen, sind in Frankfurt gelandet, und dort wurden wir von unserer Familie abgeholt. Die Brüder meiner Mom und meine Oma haben schon hier gelebt, das ist auch der Grund, warum wir nach Deutschland gekommen sind. Dann saßen wir im Auto, auf der Autobahn haben wir alle eine Caprisonne Orange bekommen. So ging unsere Reise los.

Nura, bei einem Konzert in Berlin hast du dich in einem Schlauchboot auf der Menge rumtragen lassen, dazu skandierten die Leute: „Refugees are welcome here“.

Ich bin pro Asyl, auf jeden Fall. Wenn Rechte sagen: Geh doch zurück nach Hause – tja, vielleicht kann ich nicht zurück? Schon mal darüber nachgedacht? In Eritrea ist die Lage immer noch kritisch, ich würde gern mal hinreisen, aber erst, wenn sich das beruhigt. Es ist schade, dass man nicht in sein eigenes Land kann, weil es dort zu gefährlich ist. Deswegen kann ich es auch komplett verstehen, dass Leute hierherkommen.

Deine Mutter hat heute, nach fast 30 Jahren, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Aber du musst immer noch regelmäßig zum Ausländeramt.

Ja, alle zwei Jahre gehe ich da hin, dann geben die mir einen Stempel und sagen: Du warst brav, du darfst noch ein bisschen hierbleiben. Abschieben können sie mich nicht, weil Eritrea immer noch unsicher ist. Also bin ich hier gefangen … nein, Quatsch, ich bin gerne hier.

Ist das für dich ein Thema: der Status, der Pass, was man ist?

Ich wäre safe, wenn ich einen deutschen Pass hätte. Dann könnte ich nach L.A. fliegen und dort Mucke machen, ich kenne viele Künstler dort, die haben mich oft eingeladen. Aber ich darf nur innerhalb Europas reisen. Mit dem Pass, den ich habe, gibt mir auch kein Land ein Visum. Ich habe Visa für Australien beantragt, meine beste Freundin lebt da – sechs Mal abgelehnt. Ist halt schwer, wenn man ein Dritte-Klasse-Mensch ist. Aber das werde ich auch noch hinkriegen. Das Musikmachen hilft mir dabei.

Wie denn?

Es gibt diesen Punkt: öffentliches Interesse. Die auf dem Amt sehen, du bist wichtig – und dann geben sie mir einen Pass. Es ist wie bei Sportlern: Wenn du Kanake bist und gut Fußball spielen kannst, dann heißt es: Mach den mal schnell zum Deutschen hier!

Ist das ein Ansporn für dich?

Die sollten mich auch so nehmen. Die hätten mich vorher schon nehmen können. Ich lebe seit 30 Jahren hier, die ganze Familie zahlt Steuern, meine Mama arbeitet, seit sie hier ist. Sie ist Reinigungskraft, natürlich, sie hat ja nichts gelernt. Nie krank, nie geschwänzt, würde sie niemals machen. Hat immer noch keinen deutschen Pass. Aber zwei Jobs.

Nura im April 2019 in Berlin.Foto: Alena Schmick

Du bist als Jugendliche von zu Hause abgehauen, hast im Heim gelebt. Warum?

Das war ein Culture Clash. Unsere Mutter ist sehr religiös, ich wollte meinen westlichen Lifestyle durchsetzen. Einfach normal sein. Ich hatte dann aber in Wuppertal so viel Stress, die ganze Stadt hat mich so belastet. Da habe ich noch gar keine Musik gemacht, sondern nur Scheiße gebaut, gekifft, gesoffen, war auch depressiv. Ich wollte die ganze Zeit einfach weg. Jeder hat mich gekannt, aber für etwas, auf das ich nicht stolz war. Ich war nur die, die da im Heim wohnt. Ich brauchte einen Neuanfang. Jetzt kennen mich wieder alle. Aber anders.

Du bist dann nach Berlin gezogen.

Ich habe eine Ausbildung zur Sozialassistentin angefangen, aber dann war ich mit meiner ersten Band, den Toten Crack-huren im Kofferraum, auf Tour. Die Ausbildung habe ich zwei Mal abgebrochen, hab gearbeitet, im Café, im Restaurant, Armschmerzen vom Tellertragen, im Cookies an der Bar, im Urban Spree an der Bar und an der Tür, im Spindler und Klatt an der Tür.

Du bist stolz auf deinen Fleiß?

Ich bin alleine hergekommen. Ich hab immer gearbeitet. Wenn ich krank geworden bin, gab es kein Geld, also habe ich immer gearbeitet. Ich bin ein krasses Arbeitstier. Das hab ich von meiner Mutter, ich hab nie gechillt, nie was geschenkt bekommen, immer krass viel geackert. Acht Stunden, zehn Stunden die Bar gemacht, dann hieß es: Hast du Bock, den Laden zuzumachen? Dann musst du noch fünf Stunden bleiben, es gibt aber soundso viel Geld direkt auf die Hand. Okay, dachte ich, ich bin ja schon hier.

Wann war dir klar: Clubjobs, Ausbildung, das ist es alles nicht – ich muss auf die Bühne?

Die Crackhuren waren eine Ausprobierphase. Da habe ich gemerkt: Ich bin so extrovertiert, ich bin der Showmaster, ich brauche mein eigenes Ding. Dann kam SXTN, auch eine Ausprobierphase, und die Tür, die alles geöffnet hat. Jetzt bin ich bei Nura angelangt. Und eigentlich kann ich mich auch immer nur auf Nura verlassen. Sie hat mir immer Kohle nach Hause gebracht. Sie war immer am Start.

Welchen Traum hatte deine Mutter für Nura?

Anwältin, Ärztin, solche Sachen. Aber ich glaube, jetzt ist sie auch happy. Es ist sogar besser: Wäre ich Ärztin geworden, hätten wir uns nie gesehen. So bin ich zwar auch krass busy, aber ich kann sagen: Mama, komm mit! Das würde im OP-Saal nicht gehen. Bei unserem allerersten Festival mit SXTN saß sie direkt hinter der Bühne. Als wir dann „Deine Mutter“ gespielt haben …

Mit Zeilen wie: „Ich ficke deine Mutter ohne Schwanz“ oder: „Fick dich, du Hurentochter“.

… da hab ich natürlich gesagt: „Ey, alle Mamas außer du, Mama!“ Einmal haben wir backstage zusammen gechillt. Juju, meine Partnerin bei SXTN, wollte einen Sekt trinken – aber ich trinke nicht vor meiner Mama, aus Respekt. Ich rauche auch keine Zigaretten oder Joints, wenn sie da ist. Klar weiß sie, dass ich das mache, aber ich muss ihr das nicht unter die Nase halten. Also, Juju sagte: Hey, lass uns anstoßen – es war ja der erste Tag unserer ersten Tour. Und meine Mama hat ihr Wasserglas gehoben und mit uns angestoßen. Das war schon krass.

In deinem Podcast erzählst du, dass dieses Album die erste Sache in deinem Leben sei, die du „alleine durchgezogen“ hast. Du sagst: „Ich hätte nie gedacht, dass ich etwas alleine schaffe.“ Woher die Selbstzweifel?

Das waren keine Selbstzweifel. Vorher war es meistens so: Ich hab irgendwas angefangen, und dann kam irgendein Rückschlag und ich habe es liegen lassen. Wie meine Ausbildung: immer schnell Ausreden gefunden, aufzuhören. Oder bei diesem Album, da ist ein sehr guter Freund von mir verstorben, und ich hätte das fast wieder als Ausrede dafür genommen, dass ich nicht weitermache. Aber ich habe es durchgezogen. Aus eigener Kraft gecheckt.

Wie ist das: Allein auf sich gestellt zu sein? Die Verantwortung zu haben?

Bei SXTN wurde uns viel Arbeit abgenommen durch das Management, wir haben dann immer zusammen Entscheidungen getroffen. Aber hier war es so, dass ich die volle Macht hatte: Nein, das machen wir so, nein, „Was ich meine“ wird die Single. Ich bin der Boss, ich bin der Boss, ich bin der Boss. Das war nice. Und das habe ich alles während des Albums gelernt. Vielleicht hätte jemand anders dieses Paket nicht tragen können. Aber deswegen hat Gott, oder wer da oben ist, mir das gegeben. Weil er sich denkt: Die heult vielleicht und sie wird bluten, aber sie wird es hinkriegen.


In „Könnt Ihr mich hören“, einem Buch über deutschen Rap, erzählst du: „Die Gesellschaft hat immer noch Schiss vor Rappern. Aber die Kinder von diesen Leuten, die Schiss haben, feiern uns.“ Verstehst du die Sorge der Eltern?

Ich kann das verstehen. Aber daran merkt man, dass die Eltern sich nicht damit befasst haben. Seit ich eine kleine Nichte habe, habe ich eine andere Sichtweise. Sie darf die Liebeslieder hören, die anderen nicht. Aber ich würde es ihr erklären. Wenn sie darauf angesprochen wird, soll sie sagen können: Ja, meine Tante macht diese Musik. Aber das ist eine Kunstform, so drückt sie sich aus. Musik ist Kunst, die muss nicht jedem gefallen. Deshalb finde ich: Kinder sollten ihren Eltern Rapmusik näherbringen. Ich habe das mit meiner Mama auch gemacht.

Also: gar keine Bedenken, dass 15-jährige Fans die Krawall-Nura zum Vorbild nehmen?

Bei meinen Fans gibt es eine Gruppe, sechs Mädels. Berlinerinnen, so zwischen 15 und 17, das sind die Nura-Ultras, meine aktivsten Fans. Mit deren Eltern bin ich eng, die fahren ihre Kinder zu Fantreffen und holen sie wieder ab. Sie wissen, dass ihre Kinder safe wieder nach Hause kommen. Die kriegen keinen Asi-Brainwash von mir.

Du hast echt keine Sorge, dass du deine Fans mit einem Song wie „Sativa“ zum Kiffen anstiftest?

Das ist das Ding. Ich habe ja nie gesagt: Ich mache jetzt Musik für Über-30-Jährige. Nur weil ich weiß, dass ich 13-jährige Fans habe, werde ich nicht meine Songs verändern. 13-Jährige können differenzieren, wenn

ich eine lustige Story erzähle. „Sativa“ ist meine Traumvorstellung davon, wie es wäre, wenn ich in so einen Schickimickiclub gehen würde und alle zum Kiffen anstiften, sogar den Türsteher. Das ist Comedy. Ich weiß, dass meine Fans so schlau sind, dass sie niemals sagen würden: Ich kiffe jetzt, weil Nura auch kifft.

Du machst dir also schon Gedanken.

Meine Fans wissen: Die Musik ist das eine, die Person Nura ist das andere. Aus meinen Instagram-Stories wissen sie, wie ich bin, wie ich rede. Wenn ich sage, sie sollen gerade sein, höflich sein. Die sind genauso empathisch wie ich. Sie können bei manchen Liedern total asi sein, aber sie wissen: Wenn eine ältere Dame in den Bus einsteigt, dann stehe ich auf und gebe ihr den Platz.

Während deiner Zeit bei SXTN hast du mal gesagt „Wir mögen Mütter, aber manchmal machen wir halt Battle-Rap“.

Du brauchst Representer auf einem Album. Tracks, auf denen du sagst: Haltet die Fresse, ihr Bastarde, ich bin der King. Aber auf Dauer finde ich das echt eintönig. Ich hab das am Anfang bei SXTN eher als Scherz mitgemacht. Juju hat gerappt, also hab ich mitgerappt. Ich liebe es, Sachen, auszuprobieren. Aber eigentlich war Rappen nie so mein Ding. In meinem Diddl-Freundschaftsbuch von 1998 steht drin, was ich werden will: Sängerin.

Bekommen Frauen im Rapgeschäft zu wenig Respekt?

Mit SXTN kamen wir aus dem Nichts, sind auf Platz 8 gechartet und drei Mal Gold gegangen – aber das schätzt keiner. Es schätzt auch keiner, dass wir alles selbst geschrieben haben. Rapper sind gierig und wollen nichts abgeben. Es gibt 500 Typen, die gleich aussehen und gleich rappen. Dann kommen zwei Mädels, die was ganz anderes machen, und eigentlich müssten alle sagen: Hey, krass! Bei euch standen viel mehr Leute vor der Bühne! Ihr habt das Festival gefickt! Aber nein, sagt keiner. Weißt du, warum? Weil sie neidisch sind.

Im Video zu deiner Single „Was ich meine“ scharwenzeln muskulöse Typen halbnackt um dich und zwei andere Diven herum, reichen Champagner und Trauben an …

Ge-nau! Ja, da habe ich alles selbst gemacht: Treatment geschrieben, Location gescoutet, Casting, Regie. Ich hab bei Instagram ein Bild von Brad Pitt gepostet und gesagt: Wenn du so aussiehst, melde dich. Die Leute dachten, ich suche einen Freund. Zum einen hatte ich die Idee mit dem Fight Club: Dass ich die Puffmutter bin und da sitze und chille, und wenn ich Bock habe, lege ich nen Fuffi hin und die Typen prügeln sich. Dann diese Champagnerszene, die zeigen soll: Männer prügeln sich für mich, aber Männer kümmern sich auch um mich. Und die Stripclubszene, die sagen soll: Klar, ich bin eine Olle, aber ich kann auch den und den kaufen, ich hab auch Kohle. Das war auch noch so ein Clou: Ich habe ja Katja Krasavice und Cherry Rebelle dabei…

… zwei, nun ja, Erotik-Instagram-Stars.

Wo alle immer denken: die Huren! Die tanzen jetzt schön im Video! Die ganzen Perversen dachten, dass sie Titten sehen würden – aber wir zeigen nur Männerkörper. Katja ist genau so eine Frau: Im Club rennen ihr die Männer wie Hunde hinterher. Denkt ihr, bei uns ist das anders als bei euch? Wir sind auch im Game. Aber ich mache das nur im Video, als Verarschung. Männer, die so ein kleines Ego haben, die machen das in Wirklichkeit.

Teaser Ausgabe10 im Text