Die Glienicker Brücke markiert jetzt wieder eine Zonengrenze: Diesseits, also in Berlin, ist klassische Musik in geschlossenen Räumen mindestens bis zum 31. Juli untersagt. Jenseits, also in Potsdam, darf dagegen jetzt wieder indoor gespielt werden.
Im Foyer des Nikolaisaals Potsdam nämlich. Bis zu 75 Menschen finden hier Platz, für kleine Besetzungen ist die Pausenhalle mit der präsenten Akustik gut geeignet. Beim ersten Auftritt nach dem Lockdown von Mitgliedern der Kammerakademie Potsdam und dem Mandolinenvirtuosen Avi Avital kommt fast Vor-Corona-Atmosphäre auf.
„Echt jetzt“ heißt das Kammermusikfestival, bei dem bis zum 7. Juli täglich Kurzkonzerte stattfinden, mit so hochkarätigen Solistinnen wie der Pianistin Elena Bashkirova, der Sopranistin Mandy Fredrich (die hinter einer Plexiglasscheibe singen wird) oder der Klarinettistin Sharon Kam.
„Wir Musiker haben gelernt, wie sehr wir euch brauchen!“
Daishin Kashimoto, der Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, wird erwartet, ebenso der Schauspieler Fabian Hinrichs oder auch das moderne Männergesangsquintett „Walhalla zum Seidelwirt“.
Strahlend begrüßt Avi Avital das Publikum am Samstag: „In diesen drei Monaten haben wir Musiker gelernt, wie sehr wir euch brauchen!“ Jetzt wieder mit der Kammerakademie auftreten zu können, seiner „favorite band“, vor echten Zuhörerinnen und Zuhörern, findet er ebenso beglückend wie aufregend.
Haydns 1. Londoner Trio, eigentlich geschrieben für zwei Flöten und Begleitung, das Avital hier mit der Geigerin Sueyon Kang und dem Cellisten Jan-Peter Kuschel aufführt, hat dann auch einen extrem starken inneren Puls. Es knistert vor Energie in den schnellen Ecksätzen, in lieblicher Süße verströmt sich das Hirtenidyll des Andante.
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Den Anfang hat die Geigerin Maia Cabeza gemacht, mit einer feuerwerkshaft virtuosen Fantasie von Georg Philipp Telemann. Sueyon Kang versenkt sich dagegen bei ihrem Solo in den ernsten Instrumentalgesang von Johann Paul von Westhoffs d-Moll-Sarabande.
Diese Komposition von herber Schönheit ist 1683 entstanden, sie war Johann Sebastian Bach ein Vorbild für seine Cellosuiten, von denen sich Avi Avital die erste ausgesucht hat. Er spielt sie auf der Mandola, dem größeren Schwesterinstrument der Mandoline.
Deren Technik zu erlernen, war die Herausforderung, die er sich selber während der Zwangspause aufgegeben hatte. Sehr feingliedrig klingt Bach, wenn er gezupft wird, von juveniler Unschuld ist die Mandola, wie ein Cello vor dem Stimmbruch.
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Auf Taschenformat geschrumpft ist am Samstag Vivaldis Lautenkonzert, bei dem Avital statt eines ganzen Orchesters nur seine drei Mitstreiter begleiten. Doch die Spielfreude, die alle erfasst hat, lässt jede Beschränkung vergessen: Feurig fliegt der Eröffnungssatz vorbei, elegant wie ein Menuetttänzer durchschreitet der Virtuose das Largo, das Finale wird zum ausgelassenen Bauerntanz.
Auch wenn Klassik in Brandenburg wieder möglich ist, befindet sich die Kammerakademie Potsdam in einer existenzbedrohenden Situation. Die 32 Mitglieder des städtischen Orchesters sind nämlich nicht fest angestellt, sondern werden nur auf Projektbasis beschäftigt. Was konkret bedeutet: Weil sie auf staatliche Anweisung keine Konzerte spielen konnten, durfte Intendant Alexander Hollensteiner ihnen auch keinen Lohn überweisen.
Selbst um eine Ausfallhonorar-Regelung ringt er weiterhin mit der Stadt. Die Kurzkonzerte im Nikolaisaal-Foyer bringen nur minimale Einnahmen, ein erster Lichtblick sind darum die beiden Auftritte, die die Kammerakademie kommende Woche in großer Besetzung spielen kann – beim Mozartfest in Würzburg.