/Anne Wills Gäste tasteten in zivilisierten Disput nach der künftigen Koalition

Anne Wills Gäste tasteten in zivilisierten Disput nach der künftigen Koalition

Abstand, endlich etwas Abstand von der Wahlnacht vor einer Woche. Allmählich setzt Realität sich durch. Ja, die SPD ist stärkste Kraft, ja, der politische Verkehr rollt wohl langsam auf eine Ampel zu. Doch noch wirkt das von außen wie Stau.   

In der Hoffnung, den diskret Sondierenden Einblicke zu entlocken, hatte Anne Will Manuela Schwesig (SPD) zu Gast, als Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern die größte Wahlgewinnerin. Für das CDU-Präsidium war Norbert Röttgen im Salon, sowie, für die siegreichen Ränder, der grüne Abgeordnete Konstantin von Notz und der liberale Politiker Otto Fricke. Als mediale Mitbeobachterin holte Will zugeschaltet Tina Hassel und analog Christiane Hoffmann vom „Spiegel“ an ihrer Seite.

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Hassel wurde gefragt, was sie „raushören“ konnte aus den Sondierungen, sie berichtete kurz von der durch die Union „irritierten“ FDP, doch auch, dass „in beide Richtungen geblinkt“ wird. Bis zur Ampel sei es „noch ein weiter Weg“. Alle Politiker blickten ernst, während Hassel das Sondieren sondierte. Auf das permanente Patzerlauern der Medien im Wahlkampf folgt das emsige Wälzen der Kristallkugeln, in denen Fragezeichen flackern.

Wie lange hält sich Laschet, wer springt für ihn in die Bresche, was sagt uns das Selfie der grün-gelben Vizemächte, das wie ein munteres Plattencover wirkt? Also: Wann und von wem werden „wir“ demnächst regiert?

Großkrisen, gleich mehrere, rufen nach Handeln. Flut und Starkregen, Corona und Bildungslücken verlangen staatliche Investitionen in Klimaschutz und Schulen, zwischen Steueraversion und Steueraffinität geht es um rote Zahlen und die schwarze Null. Um allerhand. Von alledem war in dieser Runde kaum die Rede. Manuela Schwesig erklärt, die SPD wolle „ganz klar diese Ampel für Wirtschaft, Umwelt und Soziales“. Anne Will wollte auf die „echten Klippen“ hinaus, Schwesig auf das Betonen der Gemeinsamkeiten, dann, wenn „die CDU nicht mehr auf der Bremse steht“. Ob Manuela Schwesigs Haltung zur Pipeline Nordstream II die Koalitionsverhandlungen „ruinieren“ könne, prüfte Will auch ab. Die Politikerin ließ sich nicht aufs Glatteis führen und hielt fest, die Bürgerinnen und Bürger wollten vor allem eins: „Kriegt es hin!“

Neuer Versuch Wills in Richtung Röttgen. Ob sich Jamaika nun „erledigt“ habe? Röttgen räumte ein, die CDU brauche eine „Runderneuerung“. Ob er denn wolle, dass Armin Laschet Kanzler werde? Röttgens Zögern sagte mehr als Worte. Am Ende der Sondierungen, befand er, werde es „auch Personalfragen geben“. Zunächst gebiete es der „der demokratische Respekt“ den Sieger anzuerkennen. Ein Anspruch auf die Kanzlerschaft leite sich daraus nicht ab.

Schwesig warf ein, dann müsse die CDU doch gleich in die Opposition gehen.   

 

Wahldashboard

Von Notz schöpfte kein Vertrauen aus der „Ruchlosigkeit“ der Union, die am Wahlabend plötzlich auf Jamaika gesetzt hatte. Zufrieden ist von Notz über die „große Chance für eine progressive Regierung des Aufbruchs“. Türen dürfe man da nicht zudrücken, Optionen müssten jedoch „basisdemokratisch rückgekoppelt“ werden.

Will wollte Offenbarungen

Seien FDP und Grüne einander nicht „spinnefeind“? Von Notz sprach vom Lernen. Und dann vom hohen Respekt vor dem Wahlkampf der SPD, nicht ohne zu warnen, deren Kohleausstieg käme „für den ganzen Planeten“ zu spät. Mit wem man „den Akku“ am besten geladen bekäme, darum gehe es, erklärte Fricke für die FDP, und verwendete noch weitere technische Metaphern zu den „drei D“, Demographie, Dekarbonisierung und Digitalisierung. Darauf mahnte er mit Blick auf Röttgen, ein niederländisches Sprichwort zitierend: „Vertrauen verschwindet auf dem Rücken eines Pferdes und kommt zu Fuß zurück“.

Auch von Notz sah die Union nicht „sortiert auf dem Platz stehen“, und fürchtet, sie schiele auf die am rechten Rand verlorenen Wählerstimmen. Kritisch fasste Christiane Hoffmann zusammen, die führungslose CDU wisse offenbar derzeit nicht, wer ihr Kanzlerkandidat sei, es gebe ein Machtvakuum, und generell seien die Parteien noch sehr weit von einer Einigung entfernt, siehe etwa Steuern, Renten, Mindestlohn. Atmosphärisch schien ihr der Anfang der Sondierungen „nicht schlecht“, und: Jamaika werde unwahrscheinlicher.

[Lesen Sie auch: Die Union in der Sackgasse: Die Demographie! Der Zeitgeist! Der Kandidat! (T+)]

Will steuerte das Talkschiff über die mäßig bewegte hohe See, ein wenig wie in Hoffnung auf eine kleine Kollision. Politische Talkshows, so scheint es, stehen immer mehr unter Druck, Schlagzeilen als Klickköder zu generieren. Spürbar vibriert Dauerkalkül hinter vielen Fragen wie: „Sie schließen also kategorisch aus, dass…?!“ Szenen aus vorigen Shows dienen als Munition: „Sie haben neulich noch gesagt…. Wir zeigen Ihnen das mal!“ Hochstimmung herrscht, wenn der nervöse X die strapazierte Y vor laufender Kamera anpöbelt. Mann, wird das geteilt, gepostet werden!Dafür, dass solche Eigendynamik den Sinn der TV-Debatten nicht kassiert, haben die Sender wachsende Verantwortung.

Öffentliches Diskutieren ist ein Kernstück der Demokratie und braucht den Raum, der Reflexion vor Zuspitzung stellt. Verantwortung haben auch diejenigen, die diskutieren. Hier, am Sonntag, stritten sie durchaus kontrovers, doch sie zur Feindseligkeit ließen sie sich nicht aufstacheln. Erstmal ein gutes Zeichen.