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Mal wieder Usedom!

Im Sommer 1912 muss der Maler Lyonel Feininger sehr glücklich gewesen sein. Am 12. August schrieb er seiner Frau Julia von Heringsdorf nach Weimar, wo sie mit den drei kleinen Söhnen geblieben war: „Ich bin inmitten der Motive, die ich kenne und die mich inspirieren.“ So ähnlich fühlt es sich auch für Radler an, die heute die Usedomer Perspektiven des Künstlers auf dem weiß-blau markierten Feiniger-Radweg noch einmal abfahren. Mit leicht zusammengekniffenen Augen, den Blick nicht ganz scharf gestellt, glaubt man sich inmitten jener Bilder zu befinden, die Feininger vor mehr als 100 Jahren von den Kirchen, Mühlen, Dorfstraßen, Badestränden der Insel malte.

Die Beine schon etwas müde vom Pedaltreten die Hügel rauf und runter durch die Usedomer Schweiz, hockt man sich im Dörfchen Balm auf einer Anhöhe ins Gras – ungefähr dort, wo auch Feininger mit Stift und Zeichenblock gestanden haben muss. Darauf weist etwas versteckt eine der 45 Bronzeplaketten hin, die am Rande des Radweges in den Boden eingelassen sind und den genauen Standort des Künstlers markieren – inklusive Pfeil für die Blickrichtung.

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Wo heute in der Senke ein kleiner Fußballplatz liegt, auf dem ein Vater mit seinem Sohn kickt, hat Feininger damals einen Wanderzirkus gezeichnet. Bei ihm nähern sich die ersten Neugierigen dem schneeweißen Rundzelt, drei Kinder laufen quer über den Dorfanger, auf dem heute noch die gleichen Gebäude stehen. Klein und gedrungen rahmen sie den Platz. Ein Fachwerkhäuschen am Rand, daneben ein Gehöft, das wie auf Feiningers Farbstiftzeichnung in kräftigem Gelb erstrahlt. Auch an diesem Spätnachmittag kommt auf dem Platz Bewegung auf. Zwei Bewohner sind mit Gießkannen vor die Tür getreten, eine Frau wässert die Rabatten vor ihrem Haus, ein Mann gießt die Blumen eines öffentlichen Beetes.

Vom Karikaturisten zum Maler

Das ist das Besondere an der Feininger-Tour: Sie führt nicht nur von A nach B, etwa von Neppermin nach Balm und weiter nach Mellenthin, wo am Abend die Tour endet. Sie führt auch in die Vergangenheit und zurück in die Gegenwart, Usedom vor einem Jahrhundert und heute. 2009 wurde der erste Teil des Radwegs der Öffentlichkeit übergeben in Erinnerung an den bekanntesten Usedom-Besucher, der als Künstler auf die Insel kam, um hier Sommer für Sommer zwischen 1908 und 1921 seine „Naturnotizen“ zu machen, wie er sie nannte. Der gebürtige New Yorker, Sohn deutscher Musiker, entwickelte sich in diesen Jahren vom gefragten Karikaturisten für amerikanische, französische und deutsche Zeitschriften zum anerkannten Maler der klassischen Moderne. 1919 wurde er als einer der ersten Lehrer ans Bauhaus in Weimar berufen.

Diese intensive Beziehung Feiningers zur Insel war selbst den Usedomern lange Zeit nicht bekannt. Bis Martin Meenke, damals Bürgermeister von Benz, Anfang der 90er Jahre den Tipp erhielt, die Ostdeutsche Galerie in Regensburg zu besuchen, wo gleich mehrere Bilder Feiningers mit seiner Dorfkirche und andere Motiven der Umgebung hingen. Zusammen mit dem Benzer Pfarrer Martin Bartels begann er genauer zu forschen und brachte es schließlich im Rahmen eines größer angelegten Rechercheprojektes auf mehr als 1350 Motive aus der Region. Durch die regelmäßigen Briefe Feiningers an seine Frau Julia und die genau datierten Zeichnungen samt Ortsangabe bekam das Team recht genau heraus, wann, wo und wie lange der Künstler sich auf Usedom aufgehalten hatte.

Inzwischen gibt es zwei Touren

Feininger kam jedes Jahr in den Sommermonaten, manchmal sogar mehrmals und immer für Wochen. Mit dem Zug gelangte er in drei Stunden von Berlin nach Swinemünde, die Eisenbahnbrücke bei Karnin stand damals noch, heute ist von ihr nur ein rostiges Gerippe übrig. Von Swinemünde aus reiste er weiter zu seinen Quartieren vornehmlich in Heringsdorf, aber auch in Neppermin und Benz. Im Gepäck hatte der Maler stets sein geliebtes Rad, mit dem er Hunderte Kilometer kreuz und quer über die Insel radelte, um seine Motive zu erreichen, die er häufig mehrfach malte.

Da bot es sich an, sich dem Künstler und seinem Werk ebenfalls radelnd zu nähern und für Usedom-Besucher eine Feininger-Tour zu entwickeln. Dazu entstand ein Reiseführer mit dem Titel „Papileo auf Usedom“, ein Ringbuch, das alle Stationen mit Kommentaren von Pfarrer Bartels aufführt. „Papileo“ wurde Feininger von seiner Familie genannt – eine Kurzform von Papi Leonell. Das Buch ist ein guter Wegbegleiter, um während der Radtour die Motive von damals mit den Aussichten von heute zu vergleichen.

Inzwischen gibt es zwei Feininger-Touren auf Usedom: Die kürzere führt über 15 Kilometer von Benz durch Neppermin und Balm nach Mellenthin und zurück. Die längere, insgesamt 40 Kilometer lange Strecke beginnt in Benz und lenkt einen über Sallenthin und die Kaiserbäder an der Küste entlang ins heute polnische Swinemünde, dann durch das Hinterland über Zirchow, Korswandt, Gothof wieder zurück zum Ausgangspunkt, die kleine Runde ist gut als Einstieg geeignet. In Benz entstand die Idee für die Radtour. Mehr als 70 Arbeiten haben die Rechercheure für diesen Ort ermittelt, allein die St. Petri-Kirche kommt 45 Mal als Motiv vor.