/Iran räumt „unbeabsichtigten“ Abschuss ein – Ukraine fordert Entschädigung

Iran räumt „unbeabsichtigten“ Abschuss ein – Ukraine fordert Entschädigung

Die Iranischen Revolutionsgarden haben die Verantwortung für den Abschuss des ukrainischen Passagierflugzeugs nahe Teheran übernommen. Der Luftwaffenkommandeur der Revolutionsgarden, General Amirali Hadschisadeh sagte am Samstag, er übernehme „die volle Verantwortung“ und sei bereit jegliche Konsequenzen zu ziehen.

Eine Kurzstreckenrakete sei am Mittwochmorgen neben der mit 176 Menschen besetzten Maschine explodiert, erläuterte der Kommandeur. Das Flugzeug sei noch eine kurze Strecke weitergeflogen, bevor es abgestürzt und beim Aufprall explodiert sei.

Nach tagelangen Dementis hatte der Iran schon am frühen Samstagmorgen eingeräumt, für den Absturz des ukrainischen Passagierflugzeugs mit 176 Opfern verantwortlich zu sein. Das Militär habe die Maschine „unbeabsichtigt“ abgeschossen, es handele sich um einen „menschlichen Fehler“, hieß es am Samstagmorgen in einer Presseerklärung im Staatsfernsehen.

Die iranischen Streitkräfte bedauerten den Vorfall. Zuvor hatte der Iran einen Abschuss der Maschine vehement bestritten und erklärt, eine technische Ursache habe zu der Katastrophe geführt.

Flugzeug soll sich Militäranlage genähert haben

Nach Angaben der Streitkräfte gab es an dem Unglückstag mehrere US-Drohungen, iranische Ziele anzugreifen. Daher habe im iranischen Militär „höchste Alarmbereitschaft“ geherrscht.

Nachdem sich dann die ukrainische Maschine einer „strategisch wichtigen Militäranlage“ genähert habe, sei dies „versehentlich“ als eine Drohung eingestuft und die Maschine abgeschossen worden, hieß es in der Presseerklärung.

Kurz vor dem Absturz am Mittwoch hatte der Iran zwei von US-Soldaten genutzte Stützpunkte im Irak angegriffen. Kurze Zeit später war die ukrainische Maschine abgestürzt. Am Freitag hatten sich bereits mehrere EU-Staaten, die USA und Kanada davon überzeugt gezeigt, dass es sich um einen wohl versehentlichen Abschuss durch den Iran handeln müsse. Unter den Absturzopfern waren unter anderem 57 Kanadier.

In der iranischen Pressemitteilung hieß es weiter, die für den Abschuss verantwortliche Person werde vor ein Militärgericht gestellt, es werde wegen des „unbeabsichtigten Abschusses“ juristisch vorgegangen. Außerdem müssten die Details des Vorfalls öffentlich erläutert werden. Die Streitkräfte entschuldigten sich bei den Familien der Opfer und versprachen, dass solch ein „Fehler“ nicht mehr vorkommen werde.

Ukraine fordert Entschädigung

Auch Präsident Hassan Ruhani bedauerte den Abschuss und versprach eine gründliche Untersuchung. „Dieser unverzeihliche Vorfall muss juristisch konsequent verfolgt werden“, teilte der Präsident mit. Solch ein Vorfall dürfe nie wieder passieren und die Familien der Opfer müssten entschädigt werden.

Damit nahm Ruhani vorweg, was sein ukrainischer Amtskollege erwartet. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj äußerte sich am Samstagmorgen auf Twitter zu dem Fall. Er schrieb: „Dieser Morgen bringt die Wahrheit. Die Ukraine besteht auf einer vollständigen Anerkennung der Schuld.“ Zudem forderte er eine lückenlose juristisch Aufklärung, Entschädigungszahlungen, eine Rückführung der Toten und eine offizielle Entschuldigung.

Auch der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif entschuldigte sich für die Katastrophe. „Unser tiefes Bedauern, Entschuldigungen und Beileid gegenüber unserem Volk, den Familien aller Opfer und anderen betroffenen Nationen“, schrieb Sarif im Kurzbotschaftendienst Twitter. Es handle sich um einen „traurigen Tag“. Zugleich gab er den USA eine Mitschuld: Menschliches Versagen „zur Zeit der durch das Abenteurertum der USA verursachten Krise“ habe „zu einem Desaster geführt“.

Die iranische Luftfahrtbehörde hatte in den letzten Tagen mehrmals betont, die Maschine sei wegen eines technischen Defekts abgestürzt. Ein Abschuss sei technisch und wissenschaftlich absurd, erklärte der Leiter der iranischen Luftfahrtbehörde, Ali Abedsadeh.

Lufthansa hat Flüge nach Teheran eingestellt

Die Untersuchungen würden bald erweisen, dass die Amerikaner mit solchen Gerüchten nur versuchten, das international angekratzte Image von Boeing nicht noch weiter zu beschädigen. Regierungssprecher Ali Rabiei hatte gesagt, die US-Regierung solle bei der technischen Aufklärung der Absturzursache mithelfen, statt Lügen zu verbreiten und „Psychospielchen“ zu betreiben.

Karte> Rekonstruierte Route des Fluges

Nachrichtenagenturen und Online-Kanäle berichteten allerdings schon Stunden nach dem Ereignis, US-Experten seien überzeugt, das Flugzeug sei von einer Rakete getroffen worden. Ihre Argumente: Die Boeing habe zwei Triebwerke, auch bei Schaden an einem von ihnen sei die Maschine noch flugfähig und hätte notlanden können. Zudem sei auffallend, dass die Besatzung einen möglichen Schaden nicht gemeldet habe – der Funkkontakt bricht vielmehr urplötzlich ab.

Das Video soll den Moment des Einschlags der Rakete zeigen.Foto: dpa

Am Tag nach dem Abschuss tauchte auf dem Online-Kanal Telegram ein Video auf, das mutmaßlich eine nächtliche Explosion am Himmel zeigt. Die „New York Times“ meldete, sie habe Kontakt zu der Person, die das Video aufgenommen habe, und bestätigte die Authentizität. Die Recherchegruppe Bellingcat lokalisierte den Standort der Videokamera in der Nähe des Absturzortes.

Am Samstag twitterte der Iran Korrespondent der britischen BBC, Ali Hashem, ein Video, das den Moment des Abschusses der Rakete zeigen soll:

Mehrere ausländische Expertenteams, auch eins von Boeing, wurden nach Teheran eingeladen, um zusammen mit iranischen und ukrainischen Experten die Blackboxen der Maschine zu untersuchen. Am Freitag hatten die Ermittlungen dann begonnen.

Iranische und ukrainische Experten nahmen ihre Arbeit in einem Labor am Flughafen Mehrabad in der Hauptstadt Teheran auf. Seit dem Vorfall haben mehrere ausländische Fluggesellschaften, auch Lufthansa und die Austrian Airlines, ihre Flüge nach Teheran eingestellt.

Lufthansa streicht alle Flüge bis zum 20. Januar

Die Lufthansa und deren Tochter Austrian Airlines fliegen normalerweise täglich von Frankfurt am Main und Wien nach Teheran. Am Donnerstag waren zwei Maschinen bereits auf dem Weg, als sie jeweils nach etwa einer Stunde Flugzeug über Osteuropa umdrehten und zurückflogen. Bis zum 20. Januar sind nun alle Flüge nach Teheran gestrichen, wie der Luftfahrtkonzern am Freitag mitteilte.

Der Flugschreiber der Unglücksmaschine.Foto: Reuters

„Die Lufthansa evaluiert gemeinsam mit nationalen und internationalen Behörden die Sicherheitslage für An- und Abflüge für den Flughafen Teheran sowie des gesamten iranischen Luftraums. Sobald uns Detailinformationen vorliegen, werden wir entscheiden, ob beziehungsweise ab wann unsere Iran-Flüge wieder durchgeführt werden können. Wir bedauern die Unannehmlichkeiten für unsere Passagiere“, sagte eine Sprecherin dem Tagesspiegel. Die Lufthansa fliegt seit 1956 nach Teheran.

Die europäische Flugsicherheitsbehörde Easa rät von Flügen über den Iran ab. Nach einem Treffen von Flugsicherheitsexperten in Brüssel sprach sich die Easa am Freitag gegen Flüge in einer Höhe von weniger als 25 000 Fuß (7620 Metern) über den Iran aus.

Zuvor hatte die Easa bereits empfohlen, Flüge über den Irak zu vermeiden. „Darüber hinaus analysieren Easa, EU-Kommission und die Behörden der Mitgliedsstaaten die Lage, um über weitere Maßnahmen zu entscheiden“, sagte eine Sprecherin der Easa dem Tagesspiegel.

Kurz vor dem Absturz hatte die US-Luftfahrtbehörde alle US-Gesellschaften aufgefordert, wegen der erhöhten militärischen Aktivitäten den Irak, Iran, den Persischen Golf und den Golf von Oman nicht mehr zu überfliegen. In Regionen mit Aktivitäten von Aufständischen gilt der Luftraum in einer Höhe von mehr als zehn Kilometern als sicher.

In Kriegsgebieten geht man wegen des Einsatzes von Waffen mit größerer Reichweite davon aus, dass auch in großer Höhe Gefahr besteht. Grundsätzlich sind nach den internationalen Zivilluftfahrt-Konvention der UN alle Staaten verpflichtet, eine Gefährdung des Luftverkehrs über ihrem Territorium selbst zu melden, was häufig jedoch nicht geschieht.

Unabhängig von amtlichen Warnungen oder Flugverboten steht es den Luftverkehrsgesellschaften frei, welche Flugrouten sie wählen. Wobei sie sich im Normalfall für die kürzeste Strecke entscheiden. Große Fluggesellschaften wie die Lufthansa verfügen über eigene Security-Abteilungen, die ständig in engen Kontakt mit den Sicherheitsbehörden die weltweite Lage bewerten und entscheiden, wann und wo einem Risiko ausgewichen werden muss.

Dabei geht Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit. So muss die australische Qantas auf der Extrem-Langstrecke zwischen Perth und London jetzt einen Teil der Plätze unbesetzt lassen, um das Krisengebiet zu umfliegen. Sonst wären die Maschinen zu schwer, um den rund 50minütigen Umweg ohne Zwischenlandung zu bewältigen.

Indes standen die Zeichen im Konflikt zwischen den USA und dem Iran nach den gezielten Militärschlägen vorerst auf Entspannung. Die Lage am Persischen Golf war eskaliert, nachdem die USA den iranischen Top-General Ghassem Soleimani Ende vergangener Woche in Bagdad gezielt getötet hatten.

Ringen um das Atomabkommen mit Iran

Nach dem Angriff des Irans auf die von den USA genutzten Militärbasen im Irak hatten US-Präsident Donald Trump und Irans Präsident Hassan Ruhani angekündigt, den Konflikt zunächst auf politischer Ebene führen zu wollen.

Um den Iran-Konflikt wird es auch bei einem Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Samstag in Moskau gehen. Russland und Deutschland sind sich einig, möglichst das Atomabkommen mit dem Iran zu erhalten.

Der Iran wollte am Samstag eigentlich entscheiden, wie das Land das Abkommen künftig umsetzen will. Eine dafür anberaumte Pressekonferenz der iranischen Atomorganisation wurde allerdings kurzfristig abgesagt.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hält ein Scheitern für möglich. „Vielleicht können wir nicht verhindern, dass das Abkommen am Ende aufgelöst wird“, sagte Borrell am Freitag nach einem EU-Außenministertreffen in Brüssel. Er stellte jedoch klar, dass die EU den Deal retten wolle. (Tsp, mit AFP und dpa)