„Wir dürfen nicht warten, bis die Kliniken überlastet sind“

Die Gesundheitsämter in Deutschland haben dem Robert Koch-Institut (RKI) binnen eines Tages 25.464 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 296 neue Todesfälle verzeichnet. Vor genau einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages 21.888 Neuinfektionen und 232 neue Todesfälle verzeichnet. Die 7-Tage-Inzidenz stieg von 105,7 auf 110,4 (mehr dazu unten im Newsblog).

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Anders als in dieser und der kommenden Woche sollen in der Kalenderwoche 16 (ab 19. April) nicht rund eine Million, sondern lediglich 463.000 Impfdosen von Biontech in die Praxen geliefert werden. Der Rest werde vom Bundesgesundheitsministerium auf Bitten der Länder in die Impfzentren umgeleitet.
Gesundheitsminister Spahn hat angekündigt, dass Deutschland einen Vertrag mit dem Hersteller des russischen Impfstoffs Sputnik V abschließen will.
Der Tagesspiegel zeigt die aktuellen Zahlen der Corona-Pandemie live in Karten und Grafiken. Demnach gibt es Stand Freitagfrüh 234.935 aktive Fälle in Deutschland.
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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)

Bild:
Kay Nietfeld/dpa

Spahn: Wir dürfen nicht warten, bis die Kliniken überlastet sind

Spahn beginnt mit den aktuellen Zahlen und nennt „über 25.000 neue Fälle. Das sind viel zu viele.“ Er verweist auch auf die niedrigeren Zahlen durch Ostern, wo „weniger Leute zum Arzt gegangen sein dürften. „Wir sollten unser Handeln nicht von den aktuellen Zahlen leiten lassen.“ Auch die hohen Intensivzahlen alarmieren ihn. „Die Intensivmediziner schlagen zurecht Alarm. Wir dürfen nicht warten, bis die Kliniken überlastet sind.“ Er äußert sich verwundert über die Aussagen einiger Politiker zur Einschätzung der Pandmie. „Ich empfehle uns allen, den Parteienstreit – Wahljahr hin oder her – herunterzufahren und uns auf das Wesentliche zu konzentrieren, die Bekämpfung der Pandemie“, sagt Spahn. „Wir müssen alle an einem Strang ziehen. Es braucht einen Lockdown, um die aktuelle Welle zu brechen.“ Die sozialen Kontakte müssten eingeschränkt werden, notfalls auch mit nächtlichen Ausgangssperren. Als Säulen nennt er zudem eine Reduktion von privaten Kontakten, die Testung in Betrieben sowie die zweimalige Testung und Schulen und Kitas.

Die Pressekonferenz von Spahn und Wieler ist beendet

Spahn: Es ist eine Frage des Personals auf den Intensivstationen

Spahn geht nochmal auf die Intenisvstationen ein. Es „keine Frage der Betten ist, sondern eine des Personals“. Zudem müsse man auch außerhalb der Stationen schauen, wo ebenfalls viele Corona-Patienten liegen und dort isoliert werden müssten. Das sei eine extreme Belastung für die Pflegekräfte, Ärzte und weitere Kräfte. Man dürfe diese Menschen nicht verschleißen. Es dürfe keine Stimmung aufkommen, dass Deutschland „nach der Pandemie erst recht Personalprobleme hat“.

„Wir haben so viele Pflegekräfte wie nirgends auf der Welt, aber eine Intensivpflegeausbildung geht nicht einfach in sechs Monaten. Das kann man nicht einfach mal in zwölf Monaten erhöhen.“ Man könne Maßnahmen um Notbehelfe treffen, aber das helfe nur bedingt.

„Ich verstehe die Loghik dahinter nicht. Wollen wir es wirklich austesten, was passiert, wenn zehntausende menschen in Intensivbetten liegen und leiden. Jeder Zweite, der beatmet wird, verstirbt.“

Dann geht Spahn nochmal auf die persönliche Ebene. „Wollen wir wirklich jetzt das zulassen, was wir zwölf Monate erfolgreich vermieden haben?

Personal der Covid-19-Station der Uniklinik Leipzig.

Bild:
Waltraud Grubitzsch/dpa

Eine Maßnahme wäre, die vereinbarte Notbremse konsequent zu ziehen.

Jens Spahn

DIVI PK: „Enttäuscht über die Absage der Ministerpräsidentenkonferenz“

Gernot Marx, Präsident Deutsche
Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).

Bild:
Michael Kappeler/dpa

Gernot Marx, Präsident der DIVI, zeigt sich enttäuscht über die Absage der MPK. „Wir waren dafür, dass die MPK vorgezogen wird. Ich kann nur hoffen, dass stattdessen entsprechende Entscheidungen gefällt werden und das sehr zeitnah. Wenn es nicht über die MPK geht, dann muss es eben Alternativen geben. Und den harten Lockdown brauchen wir besser heute schon als morgen. Ich bin enttäuscht über die Absage.“

Spahn bittet Patienten der Hausärzte um Geduld

Man könne den Praxen gegenwärtig nicht sagen, wie viel Impfstoff sie in zwei Wochen geliefert bekommen, sagt Spahn. Die Patienten bittet er, nicht von sich aus wegen Terminen bei den Ärzten nachzufragen. Es sei verabredet, dass die Praxen Kontakt aufnähmen.

DIVI PK: 20 Prozent der Operationen abgesagt

Die steigende Anzahl von Corona-Patienten wirkt sich auch auf den OP-Saal aus. Je mehr Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen landen, desto mehr Personal müsse dorthin abgestellt werden, macht Frank Wappler, Präsident der DGAI deutlich. Zusätzliche Belastungen für die Intensivstationen müssen zwingend verhindert werden. Auch er fordert einen harten Lockdown.

Wieler plädiert für scharfen Lockdown von zwei bis vier Wochen

RKI-Chef Wieler hält einen scharfen Lockdown von zwei bis vier Wochen für nötig, um die dritte Infektionswelle zu brechen. Sollte die Mobilität nicht eingeschränkt werden, würden die Infektionszahlen ansteigen. „Jeden Tag, den wir nicht handeln, verlieren wir Menschenleben.“

Spahn fordert Beschäftigte auf, sich testen zu lassen

Spahn ruft Beschäftigte auf, sich in ihren Unternehmen häufiger auf das Coronavirus testen zu lassen. Es sei wichtig, dass die Firmen kostenlose Tests anböten – aber mindestens ebenso wichtig sei, dass die Mitarbeiter diese auch nutzten, sagte er am Freitag in Berlin. Derzeit nutzten nur etwa 20 bis 40 Prozent der Beschäftigten regelmäßig die Möglichkeit, „auch in Unternehmen, die das sehr großzügig anbieten“.

Wieler betont, durch Tests könnten Infizierte früher erkannt werden. „Das geht aber nur, wenn die Tests in einer bestimmten Frequenz sind.“ Schutzmaßnahmen dürften trotz der Tests aber nicht aufgegeben werden.
„Wir können das Virus nicht wegtesten“, sagte er.

Beschäftigte des Ford-Werkes in Köln vor dem Testzentrum.

Bild:

Ford-Werke GmbH/obs

DIVI PK: Inzidenz viel höher als angenommen

„Wir haben im Moment das Problem, dass die aktuellen Zahlen wahrscheinlich nicht die wahren Zahlen sind. Wir glauben, dass die Inzidenz im Moment über 150 liegt, wieviel wissen wir frühestens kommenden Woche“, Christian Karagiannidis, Präsident der DGIIN sowie med.-wiss. Leiter des DIVI-Intensivregisters.

Mitarbeiterinnen der Pflege in Schutzausrüstung betreuen einen Corona-Patienten.

Bild:
Fabian Strauch/dpa

DIVI-PK: Patienten auf Intensivstation werden immer jünger

In Berlin sei eine 20-prozentige Zunahme von Patienten, die eine intensivere Betreuung benötigen, im Vergleich zur letzten Woche zu verzeichnen. „Und die Patienten sind deutlich jünger. Wir stellen schwerere Verläufe und eine längere Liegedauer der Patienten fest“, Steffen Weber-Carstens, med.-wiss. Leiter des DIVI-Intensivregisters.

Spahn: Später auch Impfstoff von Johnson & Johnson in Praxen

In den ersten zwei Wochen würden die Arztpraxen mit dem Impfstoff von Biontech beliefert, bekräftigte Spahn. Ab Mitte April gebe es etwa zur Hälfte Biontech und zur Hälfte Astrazeneca, später auch den Impfstoff von Johnson & Johnson. Biontech liefere bisher sehr verlässlich und auf den Wochentag genau. Das habe man bei den anderen Herstellern noch nicht erreicht, hier sei teils nur die Lieferwoche bekannt, nicht aber der Tag.

Jeden Tag, den wir später handeln, verlieren wir Menschenleben. Ganz klar.

Lothar Wieler

Die Lage erinnert mich an letzten Oktober. Und das ist uns allen nicht gut bekommen.

Jens Spahn

Spahn sehr zufrieden mit Arbeit der Impfzentren

Die Impfzentren seien zudem sehr effizient, aber die Planung sei etwas diffiziler. Bei Fällen wie Astrazeneca sei es nicht so leicht, die Maschinerie sofort zu stoppen und umzustellen. „Das dauert schon ein paar Tage.“ Den aktuellen Impfrekord wolle er als Basis nutzen, aber man müsse das beibehalten.

Er betont:
„Beim Bund liegen keine Dosen ungenutzt herum, schon gar nicht Millionen.“ Es gebe keine Lagerhaltung des Bundes, sondern man liefere an Länder und Großhändler sofort aus.

Impfzentrum in Bonn.

Bild:
Oliver Berg/dpa

Wir fordern einen harten Lockdown für zwei bis drei Wochen, weil unser Gesundheitssystem an seine Grenzen kommt. Es gibt kaum mehr Kapazitäten und das Personal ist extrem belastet.

DIVI PK: Christian
Karagiannidis, Präsident der DGIIN sowie med.-wiss. Leiter des
DIVI-Intensivregisters

DIVI PK: Kliniken in Deutschland sind am Limit

„Im Großraum Köln-Bonn sind die Intensivstationen extrem voll, dort sind derzeit nur 7 Betten frei. In Bremen sind es 2 Betten, in Thüringen derzeit nur noch ein Bett“, sagt Christian Karagiannidis, Präsident der DGIIN sowie med.-wiss. Leiter des DIVI-Intensivregisters zu den Auslastung der Stationen.

Von den Menschen, die invasiv beatmet werden, stirbt etwa jeder Zweite.

RKI-Chef Lothar Wieler

Ein beatmeter Intensivpatient wird behandelt.

Bild:
Waltraud Grubitzsch/dpa

Die Intensivstationen füllen sich rasant.

RKI-Chef Lothar Wieler

Wieler besorgt wegen Lage auf Intensivstationen

Bei den Intensivbetten sei das Problem auch, dass „noch 2700 Betten aus der zweiten Welle belegt waren. Durch die jungen Menschen werden die Betten in der dritten Welle noch länger belegt sein.“

Das Problem seien aber nicht die Betten allein, sondern auch die Menschen, die „seit Monaten am Limit arbeiten und unter extremer Blastung stehen“. Das müsse künftig verhindert werden.

Die Lage auf den Intensivstationen sei „leider sehr, sehr ernst“, so Wieler. Immer mehr Menschen würden mit Covid-19 eingewiesen – und sie würden jünger. Bei den 35 bis 49-Jährigen seien die Zahlen stark gestiegen. Auch das Alter der Intensivpatienten sinke. Das zeigte eine Datenauswertung an 70 deutschen Krankenhäusern.

RKI-Chef Lothar Wieler.

Bild:
Kay Nietfeld/dpa

DIVI PK: Rund 2700 Intensiv-Betten noch frei

Aufgrund der prekären Lage fordert Gernot Marx, Präsident der DIVI, einen harten Lockdown und ein bundeseinheitliches Vorgehen. „Aufgrund der schweren Verläufe und dem schwinden der Betten – rund 2700 Intensivbetten stehen nur noch zur Verfügung – muss jetzt gehandelt werden. Wir fordern ein einheitliches Vorgehen und einen harten Lockdown.“

Bericht: Kein Bund-Länder-Gipfel nächste Woche

In die Pressekonferenz platzt die Eilmeldung der Nachrichtenagentur Reuters, wonach es nächste Woche keine keine Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) geben werde. „Die Bundesregierung beabsichtigt schon nächste Woche im engen Einvernehmen mit den Ländern und dem Bundestag einen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen, der eine direkt verbindliche und umfassende Notbremse für Kreise ab einer Inzidenz von 100 vorsieht“, heißt es. Unterhalb einer Inzidenz von 100 sollten die bestehenden Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz fortgelten und die Länder damit ihre Zuständigkeit behalten.

Die schnelle Impfkampagne könnte in Großbritannien rund 10.000 Menschenleben unter den Über-60-Jährigen gerettet haben: