Der 29. März 2019 war einmal Brexit-Tag. Sehnsuchtsmoment für alle EU-Gegner in Großbritannien, Horrorvorstellung für die Proeuropäer – und Hoffnung für jene, die zumindest wollen, dass der ganze Spuk irgendwann mal ein Ende hat. An diesem Tag, exakt zwei Jahre nachdem die Regierung in Brüssel den Austritt beantragt hatte, werde man die Europäische Union verlassen. Komme, was wolle. Mit dieser Ansage war Premierministerin Theresa May über Monate durchs Land gezogen.
Jetzt, am 29. März, sind die Briten immer noch in der EU. Vielmehr noch: Nichts ist geklärt, nicht einmal der genaue Fahrplan für die nächsten Tage: Deal, kein Deal, gar kein Brexit – alles bleibt auf dem Tisch. Nur eines steht an diesem Tag fest: Der Austrittsvertrag der Regierung hat weiter keine Mehrheit. Trotz allem.
Denn May hat im Grunde alles versucht. Sie hat den Kritikern ihren Rücktritt angeboten. Sie hat den Parlamentariern diesmal nur die Trennungsvereinbarung mit der EU vorgelegt, nicht aber die politische Erklärung über die künftigen Beziehungen. Ein Trick, um Unterhaussprecher John Bercow zu besänftigen, der Widerstand angekündigt hatte, sollte die Regierung ihren Deal noch einmal in unveränderter Form im Unterhaus einbringen.
Und May wollte diesmal einen anderen Ton als zuletzt vor den Abgeordneten anschlagen, einen besonneneren, sanfteren. Am Freitagnachmittag steht sie im Unterhaus und spricht von Verantwortung und Kompromissbereitschaft, davon, dass die Politiker auf ihr Herz hören sollten. Und die Regierungschefin sagt: „Wenn Sie den Brexit liefern wollen, ist das jetzt der Moment.“
Allein: Es reicht wieder nicht. 286 Abgeordnete stimmen für den Antrag der Regierung, 344 dagegen. Da hilft es auch nicht, dass sich diesmal auch viele Brexit-Hardliner hinter May versammeln: Ex-Außenminister Boris Johnson zum Beispiel, der ultrakonservative Jacob Rees-Mogg, oder der frühere Brexit-Minister Dominic Raab. Sie alle einte die Furcht, am Ende könne es gar keinen Brexit geben. Andere wiederum bleiben hart: Mays Regierungspartner etwa, die nordirische DUP. Oder die Labour-Opposition.
Es ist ohnehin ein seltsames Manöver, das May da versucht – aufgeladen zu einer Grundsatzentscheidung, die es nicht ist. Die Abstimmung sei die „letzte Gelegenheit, den Brexit zu garantieren“, sagt May. Das aber ist reichlich übertrieben. Selbst bei einer Zustimmung für ihren Antrag wäre beim Brexit noch keine finale Entscheidung gefallen.
Per Gesetz hatten die Briten festgelegt: Um das Austrittsabkommen zu ratifizieren, muss das Parlament beiden Teilen zustimmen: dem verbindlichen Trennungsvertrag – und der politischen Erklärung. Das einzige, was May an diesem Tag erreichen konnte, war ein zeitlicher Brexit-Aufschub bis zum 22. Mai. Die Verlängerung hätte die EU gewährt, wenn das Parlament Mays Vertrag mit Brüssel angenommen hätte.
Und jetzt? Die Premierministerin spricht nach der Abstimmung von „schwerwiegenden“ Folgen der Entscheidung. Großbritannien werde nun am 12. April die EU verlassen müssen, wenn man keine Alternative finde. Tatsächlich hat Brüssel den Briten dieses Datum als neue Frist diktiert, sollten sie sich nicht einigen können. Bis dahin, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk kürzlich, bleiben jedoch alle Optionen auf dem Tisch:
- me des Brexit-Antrags: Es wäre der Traum vieler Proeuropäer, doch im Parlament gibt es dafür bislang keine Mehrheit. Sowohl Tories als auch Labour fühlen sich mehrheitlich dem Referendum von 2016 verpflichtet.
- Ein Austritt ohne Abkommen: Die EU bezeichnet es als „wahrscheinliches Szenario“, das Unterhaus hat diese Option jedoch mehrfach abgelehnt – aus Angst vor den womöglich katastrophalen wirtschaftlichen Folgen.
- Doch noch ein Deal: Theoretisch wäre es wohl möglich, dass Theresa May in der kommenden Woche abermals ihr Abkommen einbringt. Medienberichten zufolge soll es solche Planspiele in der Regierung geben. Politisch jedoch könnte May das nur schwer vermitteln. Und selbst wenn ein solches Unterfangen vor dem 12. April erfolgreich wäre: Unklar bleibt, ob Großbritannien dann immer noch am 22. Mai aussteigen dürfte.
- Ein langer Aufschub: Diese Variante erscheint immer wahrscheinlicher. Und das, obwohl die Briten dann möglicherweise an den EU-Wahlen am 23. Mai teilnehmen müssten. Am 10. April würden die übrigen 27 EU-Staaten auf einem Sondergipfel darüber entscheiden.
Klar ist: Wollen die Briten von Brüssel mehr Zeit, etwa bis Ende 2020, müssen sie auch deutlich machen, was das bringen soll. Vorstellbar wäre ein politischer Kurswechsel: Am kommenden Montag wollen die Abgeordneten ihre Probeabstimmungen zu unterschiedlichen Brexit-Szenarien fortsetzen.
Bei einem ersten Anlauf am Mittwoch gab es keine Mehrheit, das könnte sich unter neuen Vorzeichen ändern. Chancen werden am ehesten der Forderung nach einem weicheren Brexit, zum Beispiel samt Mitgliedschaft in der Zollunion, eingeräumt. Am Ende könnte der Regierung darüber hinaus nur eine Sache bleiben, um den politischen Stillstand in Westminister zu durchbrechen: Neuwahlen. Konkret sagte May dazu am Freitag zunächst nichts. Dafür das: „Ich fürchte, wir erreichen die Grenzen dieses Verfahrens in diesem Haus.“