Zwei alte Männer versuchen, ihr Lebenswerk zu retten – und stellen sich dabei immer wieder selbst ein Bein. Der eine ist so etwas wie der liebe Gott, unsichtbar, doch allmächtig, zumindest in seinem Unternehmen in Neckarsulm: Dieter Schwarz, 79, öffentlichkeitsscheuer Gründer von Lidl und Kaufland und einer der reichsten Deutschen. Geschätztes Vermögen: 19 Milliarden Euro. In wichtigen Fragen hat er bis heute das letzte Wort. Manchmal auch in unwichtigen.
Der andere ist sein Statthalter auf Erden, seit eineinhalb Jahrzehnten: Klaus Gehrig, 70, Chef der Schwarz-Gruppe, robust, markig und durch kaum etwas zu erschüttern. Sein Führungsstil ist in den Tiefen des vergangenen Jahrhunderts verankert, auch mit dem Internet kann Gehrig wenig anfangen, was sich in einer fehlenden Strategie für den Onlinehandel niederschlägt.
Schwarz, das Phantom. Gehrig, der Polterer. Lange Zeit waren sie ein Erfolgsduo. Doch nun stehen sie vor einem Problem. In ihren besten Jahren haben die beiden es versäumt, einen Nachfolger für Gehrig zu suchen. Aus Eitelkeit, Machtbewusstsein oder dem Glauben an die eigene Unsterblichkeit.
Auch in der Ebene unter Gehrig hielten sich Manager nie lange. Am Dienstag ging wieder einer über den Neckar: Lidl-Chef Jesper Hojer ist seinen Posten los. Er ist der siebte Lidl-Chef, den Gehrig in zwei Jahrzehnten verschlissen hat. In einer Pressemitteilung zitierte das Unternehmen Højer mit dem freundlichen Satz, es sei für ihn nun „an der Zeit, meine familiäre und berufliche Zukunft neu auszurichten.“ Wie man das halt so macht, wenn der Eindruck vermieden werden soll, es habe Knatsch gegeben.
Aus dem Umfeld des Unternehmens heißt es, Hojer sei an zwei Personen gescheitert. An sich selbst, weil er offenbar etwas zu ambitioniert und selbstgewiss aufgetreten sei. Und an Gehrig, der es nicht schätzt, wenn jemand unter ihm zu sehr in die Höhe wächst.
Ignazio Paternò, der Lidl nun kommissarisch führt, ist seit 2004 im Unternehmen, zuletzt als Leiter des Italiengeschäfts. Lange genug, um zu wissen, dass auf diesem Posten nicht nur Entschlossenheit gefragt ist, sondern auch Demut. Oder wie es Gehrig vor zwei Jahren im SPIEGEL-Gespräch auf die Frage formulierte, was ein Lidl-Chef mitbringen müsse: „Bodenhaftung und Empathie“.
Der neue Chef, den er Mitte März als Nachfolger von Patrick Kaudewitz bei Kaufland installierte, dürfte jedenfalls ganz nach Gehrigs Geschmack sein: Es ist er selbst. Kaufland ist Chefsache. Denn die Einzelhandelskette schwächelt.
Die wichtigste Personalie jedoch bleibt ungeklärt. Wer folgt Gehrig nach, wenn der als Chef der Schwarz-Gruppe aufhört? Zu Jahresbeginn ging das Gerücht um, seine Regentschaft könne bald enden. Als Nachfolger wurde Gerd Chrzanowski, 47, gehandelt, damals Vorsitzender der Schwarz Zentrale Dienste KG in Neckarsulm. Er verantwortete unter anderem das neue Recycling-Geschäft und die Immobilienprojekte des Konzerns. Ein Indiz für die Wertschätzung, die Firmengründer Schwarz ihm entgegenbringt: Chrzanowski wurde im Januar mit dem Patriarchen bei der Eröffnung des neuen Uni-Campus in Heilbronn gesichtet – eine der jüngsten Großinvestitionen von Mäzen Schwarz in seiner Heimatstadt.
Gehrigs Macht bröckelt
Auf SPIEGEL-Anfrage dementierte ein Unternehmenssprecher damals, dass Gehrigs Ära zu Ende gehe: Sein Vertrag sei erst kürzlich verlängert worden, „er wird auch weiterhin vollumfänglich in seiner bisherigen Funktion für die Schwarz Gruppe aktiv sein.“ Stattdessen wurde Chrzanowski im März zu seinem Stellvertreter bestellt. Ein Posten, auf dem man sich warmlaufen kann, ohne gleich verheizt zu werden.
Dass Gehrigs Macht bröckelt, zeigt der Umbau der Schwarz Unternehmenstreuhand (SUT), die 100 Prozent der Stimmrechte der Schwarz-Gruppe hält. Wie das manager magazin jüngst berichtete, hat Inhaber Schwarz das Gremium mit Spitzenleuten von außen aufgerüstet – eine Investition in die Zeit nach seinem und Gehrigs Ausscheiden.
Wenn es nach Gehrig geht, wird dieser Tag allerdings in weiter Ferne liegen. Im SPIEGEL-Interview vor zwei Jahren sagte er: „Ich stelle mir oft die Frage: Arbeite ich, weil ich nicht ohne Arbeit sein kann? Ehrlicherweise: ja.“ Im Umfeld der Schwarz-Gruppe heißt es, daran habe sich bis heute nichts geändert.