/EU-Abgeordnete Julia Reda im Interview: „Lieber keine Reform als diese“

EU-Abgeordnete Julia Reda im Interview: „Lieber keine Reform als diese“


SPIEGEL ONLINE: Frau Reda, am kommenden Dienstag entscheidet das Europaparlament über die geplante Urheberrechtsrichtlinie. Welches Abstimmungsergebnis wünschen Sie sich?

Julia Reda: Ich hoffe, das Parlament streicht entweder die problematischsten Artikel 11 und 13, also die Artikel zum Leistungsschutzrecht und zu den Uploadfiltern, oder es lehnt die Richtlinie vollständig ab. Es sind sinnvolle Artikel darin, aber die erhoffte große Vereinfachung des Urheberrechts gäbe es mit dieser Reform sicher nicht. Im Zweifel wäre es besser, nochmal von vorne anzufangen.

SPIEGEL ONLINE: Wäre es Ihr größter politischer Erfolg, wenn die Urheberrechtsreform scheitert?

Reda: Ja, leider. Ich bin ursprünglich angetreten, um das Urheberrecht zu modernisieren, und hatte gehofft, am Ende der Legislaturperiode sagen zu können, ich habe etwas dazu beigetragen. Aber jetzt muss ich sagen: Lieber keine Reform als diese.

Zur Person

  • Quelle: Julia Reda

    Julia Reda, Jahrgang 1986, sitzt für die Piratenpartei in der Grünenfraktion im EU-Parlament und ist eine der größten Gegnerinnen des Entwurfs für die EU-Copyrightreform.

SPIEGEL ONLINE: Wie wahrscheinlich ist es, dass es so kommt?

Reda: Ich weiß nicht, inwieweit die öffentliche Debatte, die wir in den deutschsprachigen Ländern haben, woanders wahrgenommen wird. Seit den Trilogverhandlungen zwischen EU-Parlament, Rat und Kommission wird hier praktisch täglich über die Reform gesprochen, in der Presse, auf YouTube, auf der Straße und inzwischen auch in den Abendnachrichten. Das hat in dem Maße in anderen Ländern bisher nicht stattgefunden. Deshalb wage ich keine Prognose.

SPIEGEL ONLINE: Ist die Reform eigentlich keine zugunsten der Urheber, sondern vor allem eine für die Rechteinhaber?

Reda: Unterm Strich wahrscheinlich schon. Allerdings muss man unterscheiden, wie die jeweilige Ausgangssituation ist. Für deutsche Urheber bringt die Reform kaum eine Verbesserung, denn die vorgesehenen Regelungen zum Urhebervertragsrecht gibt es hierzulande in ähnlicher Form schon. Und Artikel 12 wäre sogar ein deutlicher Rückschritt.

SPIEGEL ONLINE: Und in anderen Ländern?

Reda: Wo es noch gar kein Urhebervertragsrecht gibt, kann man eine andere Bilanz ziehen.

SPIEGEL ONLINE: Wer erst in den vergangen Wochen in die Debatte eingestiegen ist, dürfte sie als einseitige Lobbyschlacht gegen Artikel 13 wahrnehmen. Wie sieht sie aus Ihrer Perspektive aus?

Reda: Es gibt eine Untersuchung vom Corporate Europe Observatory, laut der die überwiegende Zahl von Lobbytreffen zur Urheberrechtsreform von Medienunternehmen, Verwertungsgesellschaften und den Dachverbänden zum Beispiel der Musikindustrie besetzt wurde, also von Rechteinhabern im weitesten Sinne. Sogar ich habe mich mehrheitlich mit Rechteinhabern getroffen, wie das Observatory herausgefunden hat.

SPIEGEL ONLINE: Warum war das so?

Reda: Die Zivilgesellschaft hat schlicht nicht die Mittel für das klassische Lobbying. Ihr bleibt nur, Öffentlichkeit zu schaffen. Und das ist immer schwierig, wenn es bis zur entscheidenden Abstimmung noch Monate dauert.

SPIEGEL ONLINE: Aber an der Faktenlage hat sich doch – bis auf Details – seit einem Dreivierteljahr nichts geändert.

Reda: Ich glaube, die meisten haben einfach gehofft, dass die erste Ablehnung im vergangenen Juli dazu führen würde, dass es noch ernsthafte Änderungen an der Reform geben würde. Aber Proteste gab es damals auch schon, nur nicht so sichtbare. Viele Bürger haben sich per Mail an die Abgeordneten gewandt. Und schon 2013 haben Tausende einen Fragebogen ausgefüllt, mit dem die EU-Kommission herausfinden wollte, was sich im Urheberrecht ändern muss.

SPIEGEL ONLINE: Das hat nichts bewirkt?

Reda: Es hat sich gezeigt, dass es nicht reicht, seine Kritik und seine Wünsche vorzubringen. Man muss das Geld haben, um regelmäßig in Brüssel und Straßburg vor Ort zu sein.

SPIEGEL ONLINE: Bei der anstehenden Europawahl werden Sie nicht noch einmal antreten – warum nicht?

Reda: Zum einen wollte ich nie Berufspolitikerin werden. Meine Erfahrungen im Parlament haben meine Befürchtung bestätigt, dass es mit der Zeit immer schwieriger für Abgeordnete wird, ihre Überzeugungen zu vertreten, wenn sie Angst um ihre Zukunft haben müssen. Ich habe mich nicht davon abhängig machen wollen.

SPIEGEL ONLINE: Und zum anderen?

Reda: Ich habe festgestellt, dass mir in den parlamentarischen Debatten das akademische Niveau fehlt. Ich finde es erschreckend, wie wenig wissenschaftlicher Rat in der Politik interessiert.

SPIEGEL ONLINE: Was werden Sie künftig tun?

Reda: Ich gehe zurück in die Wissenschaft, nämlich zu Joi Ito ans MIT Media Lab, um dort zu promovieren.

SPIEGEL ONLINE: Eine Rückkehr in die Politik schließen Sie aus?

Reda: Ich habe erstmal keine Ambitionen, wieder ein Mandat anzustreben.