/Der Science-Fiction-Autor Dmitri Gluchowski glaubt nicht, dass wir 2029 Chips im Kopf haben

Der Science-Fiction-Autor Dmitri Gluchowski glaubt nicht, dass wir 2029 Chips im Kopf haben

Vor fast elf Jahren vebannte Dmitri Gluchowski die Menschheit in den Untergrund. Zu diesem Zeitpunkt erschien mit Metro 2033 der Debütroman des einstigen russischen Journalisten, der sogar einmal für die Deutsche Welle direkt vom Nordpol berichtet hat. In seiner finsteren Zukunftsvision kam es zu einem atomaren Schlagabtausch zwischen den Weltmächten – wer damit angefangen hat und wie es genau dazu kam, das ist unerheblich. Viele Jahre später ist die Erdoberfläche durch den Krieg verstrahlt und durch einen nuklearen Winter tiefgefroren. Diejenigen, die überlebten, die hausen nun in den Tunneln, Stationen und Schächten der weitläufigen Moskauer Metro, wo sie sich gegeneinander und gegen garstige Mutanten wehren. Nach vielen Jahren wagen sich letztlich aber doch einige Mutige wieder an die Oberfläche.

Mittlerweile ist aus dem Metro-Roman eine ganze Buchreihe, eine Serie sehr erfolgreicher Videospiele und aus Gluchowski ein sowohl in seiner Heimat als auch international gefeiert Autor geworden – einer, der gerne in die Zukunft schaut, aber auch kritisch die Gegenwart beobachtet. Daher spielt sein neuestes Werk Text im Russland der Gegenwart. Ein junger Mann namens Ilja rächt sich darin an einem Drogenfahnder, der ihn reingelegt und ins Straflager gebracht hat. Dabei bekommt er dessen Smartphone in die Hände, das ihn dazu verführt, die Identität des Ermittlers anzunehmen. „Für mich ist ein Handy, ein Smartphone etwas sehr Besonderes,“ sagt Gluchowski im Gespräch mit WIRED. „Seit Jahrhunderten warteten die Menschen auf Wunder. Aber wenn sie geschehen – und das ist mit dem Smartphone der Fall – werden sie sehr schnell zum Alltag und ganz normal.“

Der Autor Dmitri Gluchowsk.

© Michael Förtsch

Für Gluchowski, der 1979 in der ehemaligen Sowjetunion geboren wurde und in Moskau aufwuchs, war Technik lange unzugänglich. Geräte wie das Smartphone, ein Tablet-Rechner oder Sprachassistenten wären ihm hinter dem Eisernen Vorhang nicht einmal als ihre damaligen Science-Fiction-Pedants in Star Trek oder 2001: Odyssee im Weltraum begegnet. „Heute erkennen die Leute nicht, was für eine fast übernatürliche Macht diese Technologie darstellt,“ sagt Gluchowski. „Diese Telefone geben uns Fähigkeiten, die eigentlich Superkräfte sind.“ Denn damit kann der Nutzer auf Unmengen Wissen zugreifen, Momente in stillen und bewegten Bildern festhalten, sich an vollkommen fremden Orten orientieren und natürlich mit Menschen kommunizieren, die am anderen Ende der Welt sind.

Der Chip im Kopf – nur pure Folter!

Für Gluchowski sind moderne Smartphones mit ihren Chat-, Social-Media- und Kommunikations-Apps und automatischen Uploads in die Cloud aber vor allem „ein digital erweitertes Gedächtnis.“ Genau in diese Richtungen, glaubt er, werden sich die intelligenten Telefone auch weiterentwickeln und mehr und mehr zu einem ausgelagerten Gehirn und persönlichen Wissensspeicher werden. Dennoch ist der Science-Fiction-Autor skeptisch, was Zukunftsvisionen wie jene von Tesla-Gründer Elon Musk und Google-Prophet Ray Kurzweil angeht. Diese sagen voraus, dass Menschen in wenigen Jahren wie selbstverständlich Chips im Kopf tragen werden, die uns direkt mit dem Internet und mit Künstlichen Intelligenzen verbinden – ganz ohne ein Telefon als Brücke. „Ich glaube das nicht“, sagt Gluchowski. „Das wird nicht unsere Realität sein.“

Dabei ist der russische Autor durchaus überzeugt, dass solche Hirn-Computer-Schnittstellen in zehn oder vielleicht 15 Jahren ohne Probleme „technisch machbar“ sind und es „sicher auch Menschen gibt, die das mit sich machen lassen – weil das neu ist und sie dabei sein wollen“. Der Stolperstein für derartige Konzepte sei ein ganz anderer: der Mensch und seine Psyche. „Ich denke, es wird eine Phase geben, in der wir unseren Enthusiasmus und unser Vertrauen in die Technologie gegen eine Müdigkeit und Skepsis eintauschen,“ prophezeit er. Es werde ein Drang kommen, wieder mehr der Technologie Herr zu werden. Erste Ansätze sieht er in der Digital-detox-Bewegung, die eine zeitweise digitale Abstinenz predigt und integrierten Apps wie Bildschirmzeit, die das eigene Nutzungsverhalten protokollieren und einschränken lassen. Ein Chip im Kopf, glaubt der Russe deshalb, wäre viel zu invasiv und wenig kontrollierbar, um angenehm zu sein. Daher würde unsere Verbindung in das Internet und zu anderen Menschen weiterhin ein externes Gerät bleiben.

Auch im Jahre 2029 „wird es die Geräte geben, die du aus deiner Tasche ziehst oder am Arm trägst“, welche Form sie dann auch haben mögen. „Manchmal willst du das dann einfach weglegen können, da es einen auch auslaugt“, sagt Gluchowski. „Diese Geräte bedeuten schließlich auch einen Zwang und eine Verpflichtung, immer sozial, erreichbar und verfügbar zu sein – dafür ist der Mensch nicht geschaffen.“ Auch eine Augmented-Reality-Brille, „die die Informationen und Daten näher an mich heranbringt, erscheint mir realistisch – auch weil du sie abnehmen und weglegen kannst.“ Alles andere, ob nun der Chip im Kopf oder eine andere Datenleitung direkt in den Körper, „wäre pure Folter, die jene, die sie annehmen, schnell bereuen“ würden.

Der Traum von der Unsterblichkeit

So selbstverständlich wie Smartphones heute, glaubt Gluchowski, könnte in der Zukunft noch ein weiteres Wunder sein; eines das noch weit älter und prägender sein könnte. „Wir werden genauso naiv und frei von Ehrfurcht sein, wenn wir die Unsterblichkeit erreichen,“ glaubt Gluchowski, der sich mehrere Jahre intensiv mit diesem Thema befasst und es für seinen 2014 erschienen Roman Future in eine dystopische Zukunftsvision verwandelt hatte. Die ist von gigantomanische Riesenstädten aus verwachsenen Wolkenkratzern, Überbevölkerung, Nahrungs-, Energieknappheit und restriktiven Fortpflanzungsgesetzen gezeichnet. „Unsterblichkeit war immer einer unserer großen Träume,“ sagt Gluchowski. „Aber die wird natürlich auch Folgen haben, derer wir uns klar werden sollten, bevor wir an den Punkt kommen, an dem sich alles verändern wird.“

Tatsächlich hält der russische Autor und Journalist die Unsterblichkeit für keine allzu futuristische Träumerei mehr. „Ich glaube, dass wir nun nicht mehr soweit davon entfernt sind,“ sagt er – aber schränkt ein, dass er damit natürlich kein ewiges Leben im biblischen oder mythologischen Sinne meint. In wenige Dekaden, schätzt er aber, könnte die Menschheit jedoch eine „faktische Unsterblichkeit“ erreichen, die dann auch für jeden zugänglich sei. Natürlich sei diese Entwicklung kein Hauruck-Moment, sondern ein Prozess, der schon vor vielen Jahren begonnen hat. Nämlich mit einer kontinuierlich besser werdenden medizinischen Versorgung, wirksamen Medikamenten, Hirn- und Herzschrittmachern, energiereicher Nahrung und Impfungen.

„Schon jetzt sehen wir, wie unser Leben jedes Jahr verlängert wird. Die Leute werden älter als noch vor 50 Jahren und deutlich älter als vor einem Jahrhundert,“ sagt Gluchowski. „In 15 Jahren von jetzt aus, wird das deutlich sichtbarer sein als jetzt.“ Denn dann könnten auch die Milliardeninvestition in Unternehmen wie das Google-Gen-Technik-Start-up Calico, die Methuselah Foundation oder Unity Biotechnology erste Früchte tragen, die zunächst alters- und erbgutbedingte Krankheiten aufhalten, dann die Jugend verlängern und abschließend den Tod besiegen wollen. „In 20 oder auch 30 Jahren wird es schon so sein, dass nicht unbedingt eine richtige Unsterblichkeit gibt, aber wir durch Medikamente und medizinische Eingriffe merklich langsamer altern,“ ist Gluchowski fest überzeugt.

Die nächste Phase wären genetische Eingriffe, die schon vor der Geburt stattfinden und einen natürlichen Zerfall des Körpers praktisch ausknipsen. Dann sei es fast eine Selbstverständlichkeit, wenn Menschen zunächst 125, 150 und 200 Jahre alt werden. „Wir werden die Teile in unseren Genen finden, die dafür zuständig sind und es wird nur eine Sache des Willens sein, diese dann zu eliminieren“, sagt Gluchowski. „Ich bin überzeugt, dass wir das tun werden. Ich glaube, wir sollten da auch keine Angst davor haben.“ Denn irgendwie sei auch „die Sterblichkeit ein Untergrund“ aus dem sich die Menschheit irgendwann hervorwagen sollte, um zu schauen, was an der Oberfläche auf sie wartet.

Alle Artikel des WIRED2029-Specials, die vom 12. bis 19.12.2018 erscheinen werden, findet ihr hier.