Freitag, 30.08.2019
12:16 Uhr
Zur Person
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Daniel Reinhard
Friedrich Indra, Jahrgang 1940, ist Motorenentwickler, 1979 holte Ferdinand Piëch ihn als Leiter der Motorenkonstruktion zu Audi, wo er bis 1985 blieb. Anschließend wechselte er zu Opel, von 1997 bis 2005 war er Executive Director in der Motoren- und Getriebe-Vorausentwicklung bei General Motors. 1991 wurde er zum Honorarprofessor für Verbrennungskraftmaschinen der TU Wien ernannt.
SPIEGEL ONLINE: Herr Indra, sie waren von 1979 bis 1985 unter Ferdinand Piëch Chef der Motorenkonstruktion bei Audi. Wie war er als Vorgesetzter?
Indra: Piëch war ein hervorragender Ideenerkenner, er hatte ein unglaublich gutes Gespür dafür, welche Vorschläge seiner Mitarbeiter er jetzt umsetzen will oder nicht. Aber er war für mich kein genialer Ingenieur, wie viele Medien gern schreiben.
Dass die Quattro-Idee von Walter Treser kam, hätte er nie zugegeben. Ihm schmeichelte es, wenn alle geschrieben haben, er sei der geniale Ingenieur. Dabei war er eigentlich genial darin, Trends zu erspüren und sie umzusetzen.
SPIEGEL ONLINE: Aber den Applaus für die Ideen anderer einzuheimsen, ist den Mitarbeitern gegenüber doch äußerst unfair.
Indra: Wer am Ende die Idee hatte, ist eigentlich egal. Denn wenn der Mitarbeiter keinen Chef hat, der seine Ideen verkaufen kann, dann nutzt die beste Idee nichts. Und genau das konnte Ferdinand Piëch. Er nutzte alle Methoden, um Projekte, von denen er sicher war, dass sie funktionieren würden, durchzusetzen. Und zog dann einen Vorstand nach dem anderen auf seine Seite.
SPIEGEL ONLINE: Warum holte er Sie damals von Alpina, einem kleinen Hersteller, zu Audi?
Indra: Es gab Probleme bei der Entwicklung des Audi 100. Dessen Motor war weit vorne platziert, ein größerer Motor, der mehr Leistung lieferte, war deshalb keine Option. Also musste ein Turbofachmann her. Ich habe bei Alpina damals sehr erfolgreich Turbomotoren entwickelt, und deshalb hat Piëch mich eingestellt.
SPIEGEL ONLINE: In was für ein Unternehmen holte er Sie damals?
Indra: Als er Audi übernahm, waren die absolut pleite, da war nichts. Er hat mich bei Nacht und Nebel über die Prüfstände und durch die Büros geführt, die waren noch aus dem Mittelalter. Audi war kaputt. Und er wollte aus diesem Hersteller von Hosenträgerautos, die von Lehrern gefahren wurden, einen Premiumhersteller machen.
SPIEGEL ONLINE: Wie wollte Ferdinand Piëch Audi dieses neue Image verpassen?
Indra: Wir sind damals oft zusammen von Ingolstadt ins Werk nach Neckarsulm gefahren, und Piëch fuhr immer wahnsinnig schnell. Da habe ich gefragt, warum er das mache. „Wissen Sie“, meinte er dann, „in jedem BMW und Mercedes, den wir jetzt überholen, sitzt ein zukünftiger Audi-Käufer.“ Diese Antwort war typisch für ihn, und er hat es wirklich geschafft. Wenn Sie heute auf die Autobahnen schauen, fahren die Audis am schnellsten.
SPIEGEL ONLINE: Hatte Piëch stets so einfache Antworten parat?
Indra: Piëch war kompliziert und hat auch alles kompliziert erklärt. Die Kunst des Ingenieurs ist, die Dinge möglichst einfach zu machen. Aber wenn man einem Menschen etwas einfach erklärt und er es sofort versteht, ist man halt ein normaler Ingenieur. Einer, der diese Aura der Ideen, die man nicht versteht, ausstrahlt, muss dagegen etwas Besonderes sein.
SPIEGEL ONLINE: Worauf legt so ein komplizierter Chef im Alltag Wert?
Indra: Qualität war ihm immer enorm wichtig. Und er hat sich selbst nichts geschenkt, hat einen unglaublichen Eifer vorgelebt. Wir sind oft mit ihm in der Wüste gefahren, er so schnell es geht vorneweg, teilweise mit 200 km/h, alle sind hinterhergehechelt, es war schrecklich. Dass man Sommer- und Wintertests durchziehen muss, egal wie kalt oder heiß es ist – da war er für viele ein Vorbild: Wenn der Chef das macht, muss man mitmachen.
SPIEGEL ONLINE: Nach sechs Jahren war für Sie bei Audi Schluss. Warum mussten Sie gehen?
Indra: Piëch war bei der Präsentation des Audi 80 Coupé verhindert, also habe ich die damals übernommen. Danach sagten dem damaligen Vorstandschef Wolfgang Habbel viele, intern wie extern, dass ich das viel besser als Piëch mache. Dabei war das keine Kunst, Ferdinand Piëch hat sich mit solchen Reden immer schwer getan. Habbel wollte deshalb, dass ich diese Präsentationen künftig halten sollte, das hat Piëch wohl getroffen.
SPIEGEL ONLINE: Offiziell, sagen Sie, mussten Sie Audi wegen Verstößen gegen die Geheimhaltungspflichten verlassen. Wie ging es für Sie beruflich weiter?
Indra: Ich wurde zuerst freigestellt und bin anschließend zu Opel gewechselt und später zu General Motors in die USA. Bei beiden Unternehmen war die Atmosphäre viel entspannter, man hat miteinander gesprochen und diskutiert, da gab es nicht die totale Order von oben. Das war echtes Teamwork, in der jeder alles für die Gruppe gegeben hat, das gab es bei Audi nicht.
SPIEGEL ONLINE: War Piëch einfach zu hart?
Indra: Natürlich war er hart, aber eben in Summe auch ein unglaublicher Manager. Länger als sechs, sieben Jahre hielt man unter ihm aber nicht durch, dafür musste man eine spezielle Mentalität haben und ihm gegenüber total untertänig sein, wie zum Beispiel Martin Winterkorn. Den VW-Mitarbeitern hat Ferdinand Piëch allerdings viel gegeben und zuerst Audi, später dann den ganzen Konzern vor der Pleite gerettet und sogar zum Blühen gebracht.
SPIEGEL ONLINE: Wäre Deutschland ohne Ferdinand Piëch also nicht das Autoland, das es heute ist?
Indra: Nein, ohne ihn wäre Volkswagen nicht dort, wo es heute ist, Deutschland als Autoland aber schon. Menschen wie er, das sieht man auch in der Politik, bauen keine Nachfolge auf und wollen zum Schluss lesen, dass es ohne sie nicht geht. Und es war klar, dass es ohne ihn nicht gehen würde. Aber das gilt eben nur bei Volkswagen.