/Neuwahl in Großbritannien: Superreiche wollen flüchten, falls Labour gewinnt

Neuwahl in Großbritannien: Superreiche wollen flüchten, falls Labour gewinnt

Samstag, 02.11.2019  
18:31 Uhr

Man kann sich darüber streiten, ob sich der Populismus der Linken im britischen Wahlkampf sehr vom Populismus der Rechten unterscheidet. Sowohl die konservativen Tories von Premier als auch Brexit-Parteichef und Labour-Anführer Jeremy Corbyn brüsten sich gern damit, die wahren Vertreter des Volkes zu sein – und wettern vorzugsweise gegen Eliten und Establishment.

Der größte Unterschied ist wohl: Farage und Johnson wollen den Reichen im Lande nichts wegnehmen, wenn sie aus der vorgezogenen Parlamentsneuwahl am 12. Dezember als Sieger hervorgehen, eher im Gegenteil.

Die eher linke sozialdemokratische Labour-Partei hat genau das aber sehr wohl vor. Jeremy Corbyn macht kein Hehl daraus, dass er nach einem Regierungswechsel neue und höhere Steuern für Bestverdiener und Reiche einführen will, zusätzlich gibt es Labour-Pläne, den Kapitalverkehr stärker zu kontrollieren und Erbschaften bereits ab einem Volumen von 125.000 Pfund (rund 145.000 Euro) zu besteuern.

Zudem, so die Überlegungen der ehemaligen Arbeiter- und Gewerkschaftspartei, soll das seit Jahrhunderten elitenbildende System der Privatschulen durchlässiger für alle sozialen Schichten gestaltet werden. Für die unter andauernder Wohlstandsungleichheit leidende Unter- und Mittelschicht Großbritanniens sind das vielversprechende Nachrichten, für die wohlhabende Klasse ein Horror.

Wie der „Guardian“ berichtet, bereiten sich viele britische Superreiche daher bereits auf den Ernstfall vor. Die Zeitung hat mit Anwälten und Beratern gesprochen, deren Klienten sich demnach zurzeit verstärkt erkundigen, wie es möglich sei, größere Vermögen ins Ausland zu transferieren und Kindern frühzeitige Erbschaften oder Schenkungen zukommen zu lassen. Geoffrey Todd von der Anwaltskanzlei Boodle Hatfield sagte dem Blatt, einige seiner Mandanten seien präpariert, ihre Vermögenswerte binnen Minuten nach einem Labour-Wahlsieg ins Ausland oder auf Offshore-Konten zu transferieren. In manchen Fällen fehle nur noch eine Unterschrift, schon sei das Geld außer Landes.

„Da gehe ich lieber und lebe in Südfrankreich oder Monaco“

Aus der Perspektive der Superreichen, so Dominic Samuelson, Geschäftsführer der Beraterfirma Camden Wealth, sei die Aussicht auf eine Labour-Regierung „eine weitaus größere Bedrohung für ihre Geschäfte und Güter als der Brexit„. Samuelson hat Mitglieder aus mehr als 3000 reichen britischen Familien als Kunden.

John Caudwell, milliardenschwerer Gründer der Techfirma Phones4u, hat bereits angekündigt, England mit Sack und Pack den Rücken kehren zu wollen, sollte Corbyn Premierminister werden: Das wäre ein komplettes Fiasko, sagte er dem „Guardian“, „da gehe ich lieber und lebe in Südfrankreich oder Monaco.“

Reiche seien versteinert vor Angst, wenn es um Corbyn und seine Pläne gehe, sagte Peter Hargreaves der Zeitung. Der Börsenmakler mit einem geschätzten Vermögen von drei Milliarden Pfund und bis zu 1700 Mitarbeitern könne gut verstehen, dass manche seiner Wohlstandsgenossen in Erwägung zögen, ihre Heimat zu verlassen, um Hab und Gut vor dem Zugriff des Staates zu schützen. „Wenn man ein Steuerregime erschafft, das Leute wie mich, die Wohlstand erschaffen, nicht unterstützt oder willkommen heißt, dann wird man die wirtschaftliche Gesundheit des Landes binnen kürzester Zeit schwächen“, warnt er.

Er selbst habe im vergangenen Jahr rund 40 Millionen Pfund Steuern gezahlt. „Wenn 50 der größten Steuerzahler in ein Flugzeug steigen und das Land verlassen“, mahnt der Broker im „Guardian“, „dann würde das ein großes Loch ins Haushaltsbudget der Regierung reißen.“

Die Jagd auf Milliardäre ist eröffnet

Zunächst muss Labour die Wahl natürlich erst einmal gewinnen. Jeremy Corbyn hat im nun beginnenden Wahlkampf noch nicht konkret gesagt, wie genau er die Reichen besteuern will. Das Labour-Programm von 2017 sieht jedoch vor, dass es einen neuen Spitzensteuersatz von 50 Prozent auf Einkommen ab 123.000 Pfund im Jahr geben soll. Der bisherige, für Einkommen ab 150.000 Pfund geltende Höchstsatz von 45 Prozent gelte dann bereits ab einem Jahreseinkommen von 80.000 Pfund. Die Körperschaftsteuer für Unternehmen soll von 19 auf 26 Prozent steigen, der Freibetrag für Erbschaften und Schenkungen würde halbiert.


Medien-Tycoon Murdoch (2014): Im Visier der Labour-Politik


Justin Tallis/AFP

Medien-Tycoon Murdoch (2014): Im Visier der Labour-Politik

Das klingt nach harten Einschnitten, allerdings rangierte Großbritannien 2018 auf Rang fünf der europäischen Länder, in denen die größte wirtschaftliche und soziale Ungleichheit herrscht. Bisher griffen keine Maßnahmen, die größer werdende Kluft zwischen Armen und Reichen zu verringern. Fast die Hälfte des britischen Wohlstands, 44 Prozent, befindet sich laut einer Erhebung des Institute for Public Policy Research (IPPR) im Besitz von nur zehn Prozent der Bevölkerung.

151 Milliardäre leben in Großbritannien, vorzugsweise in der Metropolregion London oder im Südwesten des Landes. Das viel beschworene eine Prozent der reichsten britischen Bevölkerung besteht laut jüngsten Umfragen aus 540.000 Bürgern, sie kommen aber tatsächlich schon jetzt für rund 30 Prozent der gesamten Steuereinnahmen auf.

Ungeachtet solcher Zahlenspiele hat Labour-Wahlkämpfer Corbyn in der vergangenen Woche die Jagd auf UK-Milliardäre eröffnet. In einer Rede nannte er fünf Bosse, auf die er es abgesehen habe, würde er Premierminister: Jim Ratcliffe, Chef des Chemiekonzerns Ineos, Finanzgigant und Brexit-Unterstützer Crispin Odey, Hugh Grosvenor, Duke of Westminster und jüngster Milliardär im Land, Sport- und Einzelhandelsunternehmer Mike Ashley sowie Medien-Tycoon Rupert Murdoch. Sie stünden für ein manipuliertes („rigged“) System von Superreichen, die sich auf Kosten der Massen bereichern würden, so Corbyn, der sich hierfür einen Lieblingsbegriff von Donald Trump auslieh.

Sein Schattenfinanzminister Clive Lewis geht sogar noch weiter: „Milliardäre sollten nicht existieren“, sagte der Labour-Politiker in der BBC. Angesichts solcher Klassenkampf-Rhetorik ist es kein Wunder, dass die Reichen Fluchtreflexe entwickeln.